Meine UL-Lernkurve

  • Wer kennt es nicht: da plant man eine Ewigkeit und tüftelt im UL-Wahn fleißig vor sich hin. Zuhause funktioniert das ganze unter Laborbedingungen auch gut, doch unterwegs zeigt sich schnell, dass es nicht praxistauglich ist.

    Oder ihr habt euch vorbildlich an die "Vorgabe" gehalten, rechtzeitig die letzte Erdnuss zu essen und den letzten Tropfen Wasser zu trinken, bevor ihr die Tour beendet, die nächste Quelle oder der nächste Resupply kommt. Und musstet dann einen halben Tag ohne Wasser und Essen auskommen, weil ihr euch verlaufen/verkalkuliert habt oder euer Plan aus anderen Gründen nicht aufging.

    Welche Erfahrungen habt ihr unterwegs gemacht, und was habt ihr daraus gelernt?
    Welche Lehren habt ihr daraus gezogen?

    Ein richtig oder falsch gibt es dabei nicht. Es ist also gut möglich, dass der eine bisher immer zu viel Essen dabei hatte und seitdem die Erdnüsse einzeln abzählt, während die nächste nach einer Tour mit zu wenig Essen jetzt immer Essen für einen Tag mehr mitnimmt.

    Dann fang ich mal an:

    Kreta im Juni/Juli:
    Die selbstgebastelte Schirmmütze (Visor aus einem Eisbehälter, Evolon-Handtuch als Kopf- und Nackenschutz, Gummiband, dass die Nitecore-Lampe zur Stirnlampe macht) ist nicht so praktikabel wie erhofft. Zudem setzt mir die intensive Sonneneinstrahlung sehr zu.
    Das nächste Mal kommt unter ähnlichen Bedingungen ein UV-Schutzschirm und ein richtiger Kopfschutz mit (Hut/Mütze).

    Was sind eure Erfahrungen?

  • Aktuelles Beispiel: Immer zuviel Wasser mitgenommen. Deswegen nach dem ersten Tag eine Flasche weggeworfen. Funktionierte gut.

    Für eine Tour hatte ich mal Mückennetz und Groundsheet ausprobiert. Ganz fürchterlich. Nie wieder.

    Es wird wohl allen so gehen. Ausrüstung in der Theorie mega, in der Ausführung eher unpraktikabel. Je mehr Fehler, je mehr Ausprobieren, desto höher auch der Lernprozess.

  • Ich habe bei meiner (abgebrochenen) Tour im Weserbergland gemerkt, dass es völlig Schwachsinnig ist, eine Auswahl (!) an Essen dabei zu haben, insbesondere Kuchen für drei Tage in einer Tupperdose, gerade wenn es auf dem Campingplatz Verpflegungsmöglichkeiten gibt...:S

    Jetzt kommen nur noch Kräcker und Riegel mit und wenn ich da keine Lust drauf hab - Pech...

  • Ich habe lange zeit "verhungerungsneurose" gehabt und damit nicht nur zuviel eingekauft, sondern auch zuviel zu essen dabei gehabt - und nochbesser, meist mit mindestens genau soviel zurückgekommen, als ich losgelaufen bin.

    Ich habe dann bewusst, angefangen zu evaluieren wieviel ich esse bzw. wie weit ich auch ohne essen komme (einfach mal nüchtern loslaufen oder nach dem Frühstück so lange weiterlaufen wies geht) - der zufall hat auch noch mal geholfen, eine resuppmöglichkeit fiel mal aus und ich musste einfach für 30k mit dem klarkommen was ich dabei hatte auch das ging.

    Seit dem bin ich geheilt 😅

    Das der hikerhunger manchmal mich trotzdem zuviel einkaufen lässt ist halt so😅

  • Nur weil ich etwas ungedingt haben will und es leichter ist als, oder das leichteste ist was ich kaufen kann, ist es gut für mich. So geschehen beim hexamid-pocket tarp.

    Als ich es dann hatte, war ich so unzufrieden (weil beak zu niedrig für mich; kann es nicht tief abspannen ohne das mir die plane um die ohren fliegt; und ja stealth geht damit auch nicht) nach 500k auf dem L2H-Thru habe ich es aussortiert und gegen das MYOG-Flattarp von masui_ getauscht, was einfach für den hike genau das richtige tarp war.

    Das zpacks hab ich dann verkauft. Und habe jetzt ein flattarp von wildskygear <3!


  • Welche Erfahrungen habt ihr unterwegs gemacht, und was habt ihr daraus gelernt?

    Die besten, sichersten, stabilsten Heringe sind die,…

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    …die man in den Boden bekommt!


    Ich habe hier eine größere Auswahl an edlen, namhaften Crème-de-la-crème-Heringen, nach langen Nächten der Recherche („der beste Allround-Hering für alle Fälle“, „sturmsicher Abspannen, welcher Hering“,…) über die Jahre zusammengekauft, darunter die guten Hilleberg Y-pegs für teuer Geld, gescheite Längen für verantwortungsvolle Trekker, mein Repräsentationsfächer wäre auf jedem Foristitreffen zustimmungsfähig.

    Bringt nur nix, wenn ich die nicht in die harten Mittelgebirgs- (und oft verfestigten Campingplatz-)böden bringe, auf denen ich so unterwegs bin, und 60% des feinen 22cm-Herings noch zur Zierde herausragen. Daher halten jetzt die kleinen „Spielzeug“-Titan-shepherd-hooks meine Bude, die auf keinen Fall geeignet sind, ein Mid stabil und sicher zu befestigen. Bislang unfallfrei, und vor allem ohne schamhafte Verzweiflungsanfälle.

  • Ein Beispiel für "kritische Fähigkeiten in geschützter Umgebung erlernen":

    Ein großes Mid mit Steinen abspannen, weil kein Hering in den Boden geht und man nicht den Zeltplatz wechseln kann.

    Ist jetzt nicht spezifisch UL, aber daraus habe ich gelernt, dass ich alle Methoden getestet haben sollte, auf die ich geplant unterwegs angewiesen sein kann.

    Anderes Beispiel: Laufen in triefend nassen Trailrunnern und Socken mit hohem Wollanteil am letzten Tag der Tour, ich war zu faul die Neoprensocken anzuziehen. Ergebnis war einsetzende Bildung von gewalktem Wollfilz bei meinen Socken. Wenn´s dumm läuft werden die Socken dann innen rau und man bekommt auf einmal Blasen (meine Erfahrung mit Skisocken auf Mehrtagestour).

  • In Nordschweden die OMM Halo als Regenhose dabei gehabt - kriegste nicht über die Schuhe..

    Plan: immer bei jedem einsetzenden Regen Schuhe aus-, Halo anziehen, hetzt dich ja niemand.

    Realität: Regenhose aus Faulheit kaum angehabt, weil zu umständlich. Für das nächste Mal im sommerlichen Lappland werde ich mir einen Regenrock zulegen🙄

  • Bei dem Stichwort Lernkurve muss ich zwangsläufig sofort an den Dunning-Kruger-Effekt denken.

    ... der zwar populär ist, aber falsch interpretiert wird:

    "Im Experiment von Dunning und Kruger wurde ein echter Effekt festgestellt – die meisten Menschen halten sich für besser als der Durchschnitt. Aber laut der Arbeit meines Teams ist das alles, was Dunning und Kruger gezeigt haben. Die Realität ist, dass Menschen eine angeborene Fähigkeit haben, ihre Kompetenz und ihr Wissen einzuschätzen. Wer etwas anderes behauptet, unterstellt fälschlicherweise, dass ein Großteil der Bevölkerung hoffnungslos ignorant ist." Quelle: https://krautreporter.de/psyche-und-ges…pocket-unlocked

  • Bei dem Stichwort Lernkurve muss ich zwangsläufig sofort an den Dunning-Kruger-Effekt denken.

    Dein Kommentar erinnert mich indirekt an einen anderen Effekt (für den es evtl. auch einen Fachbegriff gibt):

    Einzelne unerfahrene Personen oder Gruppen unterschätzen (subjektiv) ein objektiv hohes Risiko und durch Zufall passiert nichts. Der ausbleibende Unfall dient als Bestätigung, dass die eigene subjektve Einschätzung richtig war.

  • Meine tapferen, wackeren Vargo-Bodenkrallen fühlen sich jetzt irgendwie angesprochen.

    Hast du die schon erfolgreich eingesetzt oder waren sie nur als Trainingsgewicht im Rucksack? :)

    Die Grenzen der eigenen (Sicherheits-)Ausrüstung zu testen und in sicherer Umgebung zu erfahren lohnt sich ;)

    Bei bestimmten Verhältnissen taugen die sicher auch was, bei anderen eher nicht. Das muss man eben lernen einzuschätzen. Gib nicht dem Titan-Geraffel die Schuld.

  • Die haben den ganzen Sommer über, in passendem Boden, mein Zelt oder Teile davon gehalten. Ich kann aber zur Beruhigung sagen, dass ich immer eine Auswahl an gut ausgewählten, unterschiedlichen Heringen dabei habe, die die Anzahl an zwingend erforderlichen Bodenankern deutlich überschreitet und verschiedene Bodenarten abdecken würde. Mein Beitrag war auch durchaus etwas augenzwinkernd gemeint. ;)

    Wenngleich ihm in der Tat das Quäntchen Wahrheit innewohnte, dass „geht nicht“ / „reicht nicht“ / „funktioniert so nicht“ für das eigene Setting und Trekking-Umfeld nicht unbedingt stimmen muss. Womit wir wieder bei der Lernkurve sind.

    Manchmal probiert man etwas aus der Not heraus, und stellt fest: Hui, funktioniert so auch!… (# Holzstocher vom Asiaten als UL-Ersatzhering…)

  • Meine tapferen, wackeren Vargo-Bodenkrallen fühlen sich jetzt irgendwie angesprochen.

    LOL - ich dachte, du meinst die Grödel von Vargo:

    Pocket Cleats™ | Ultralight Traction Devices
    Discover Vargo - manufacturer of innovative titanium outdoor products for backpacking, hiking, camping, survival, etc. FREE SHIPPING for orders over $49.
    vargooutdoors.com

    Die haben den ganzen Sommer über, in passendem Boden, mein Zelt oder Teile davon gehalten. Ich kann aber zur Beruhigung sagen, dass ich immer eine Auswahl an gut ausgewählten, unterschiedlichen Heringen dabei habe, die die Anzahl an zwingend erforderlichen Bodenankern deutlich überschreitet und verschiedene Bodenarten abdecken würde. Mein Beitrag war auch durchaus etwas augenzwinkernd gemeint. ;)

    Auf Heringe bin ich gar nicht gekommen. Sorry, wollte dir noch nicht mal augenzwinkernd empfehlen, die Heringe vorher mal auszuprobieren :S Vermisse grad den Facepalm-Smiley.

  • Die "UL-Lernkurve"....

    Noch bin ich ein gutes Stück vom Ziel entfernt und werde es wohl auch nicht ganz erreichen.

    Dies ist ein ein UL-Forum und Gewichtsersparnis steht bei vielen im Vordergrund. Gerade auch bei Anfängern. Ich glaube dabei zu beobachten, wie Zweck und Anwendung dabei manchmal völlig in den Hintergrund treten. Bis zur völligen Unbrauchbarkeit.

    Ich denke z B Regenhosen sollte man ggf. auch über die Schuhe anziehen können, wenn man ohnehin aus Gewichtsgründen schon keine Matte dabei hat um sich darauf umzuziehen.

    Ich bin auch der Ansicht, man sollte in den "Verzicht auf Komfort" hineinwachsen. Nur ein Paar Schuhe, nasse Füße, nicht täglich frische Wäsche, eingeschränktes (kaltes, pfui Deibel) Essen usw.

    Natürlich kann man sich direkt am Anfang ein DCF- Minimaltarp kaufen und losziehen. Aber ob das dann klappt?

    Ich war dieses Jahr auf dem Kungsleden und habe festgestellt, dass die einwandigen Trekkingstockzelte Richtung Norden immer weniger wurden.

    Ich habe den jungen Mann aus Tschechien getroffen (durchnässt, in strömendem Regen), der den Kungsleden in 8 Tagen ohne Resupply und mit seinem eigenen Packraft gemeistert hat.

    Aber ich denke, eine Rettungsdecke als Shelter, da sollte man langsam reinwachsen.

    Ich hätte vermutlich geheult, deshalb bin ich in mein Hilleberg Enan. Das war gerade an solchen Tagen für mich ultraleicht genug und genau richtig.

    Einmal editiert, zuletzt von Carsten K. (4. Oktober 2024 um 23:35)

  • Ui, dein Post schmerzt mich ehrlich gesagt Carsten K. ! Ultralight ist und bleibt immer noch die leichtest mögliche Ausrüstung um die Ansprüche zu erfüllen. Ist man die geamte Tour lang völlig miserabel, friert, ist nass und hungrig ist das nicht Ultralight, so dern dämlich aka Stupid light.

    Manche Leute wollen es eben wissen, ihre Grenzen ausloten. Dann ist sowas mal ok, aber als UL geht das in meinen Augen nicht mehr durch.

    Für mich lag der Fokus von Anfang an auf Comfort. On erster Linie Comfort beim Laufen - also ein möglichst leichter Rucksack. Dazu Comfort beim Trail-Alltag, was für mich bedeutet ohne Stress schnell ein und auspacken zu können, keine halbe Stunde zu brauchen um irgendein flimsiges Tarp mit Ästen aufzustellen. Ich möchte abends ankommen und ohne Umwege essen und ins Bett können, trocken und warm schlafen und morgens los laufen ohne den Rucksack dreimal ein uns auszupacken bis alles passt.

    Grenzen ausloten war und ist hierbei super wichtig, wenn man weiß wenn's zu wenig ist, ergänzt man um den fehlenden Faktor und fährt ziemlich gut damit. In meiner Erfahrung lagen die Grenzen sowohl für mich als auch für meine Ausrüstung deutlich höher als das, was ich davon vorher gedacht und erwartet hatte.

    Meine Lernkurve war also die ganz klassische: erst ging es im Sturzflug runter bis zum Bodensatz um nach und nach ein bisschen hoch zu justieren um mein Comfortlevel zu erreichen.


    Liebe Grüße

    Micha

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