Habichtswaldsteig April 2025

  • Der Habichtswaldsteig ist ein 85 km langer Wanderweg von Zierenberg bei Kassel bis zum Edersee mit angegebenen 1820 Höhenmetern. Ich bin ihn im April 2025 in zweieinhalb Tagen gelaufen, konzipiert ist er für vier Wandertage. Drei Trekkingplätze lassen sich in Abständen von etwa 20 km buchen.
    Webseite: https://www.naturpark-habichtswald.de/media/touren/h…29-8051f62f6892

    Die Kurzfassung: war sehr schön! Die Langfassung folgt.

    Tag 1

    Nach ICE und Bummelbahn komme ich um 8 Uhr morgens in Zierenberg an. Noch habe ich meine Daunenjacke an, aber schon nach dem Zwischenstopp beim örtlichen Bäcker, wo ich mich mit Kalorien eindecke, ziehe ich sie aus und brauche sie den Rest des Trails auch nicht mehr.
    Der Habichtswaldsteig sei gut markiert, las ich, und das stimmt auch. Ich verlaufe mich nur zwei Mal kurz und einmal halb absichtlich. Das erste Mal falsch abbiegen bringe ich gleich schon in Zierenberg hinter mich, als ich über ein Schulgelände gehen muss. Es gibt hier widersprüchliche Pfeilmarkungen und ich entscheide mich, der Falschen zu folgen. Um den unnötigen kurzen Weg um die Schule herum tut es mir nicht leid; ich bin aber ganz froh, dass noch Osterferien sind, und ich keine gelangweilten Schulklassen amüsiere.

    Jetzt kommt der erste Anstieg hoch zum Schreckensberg. Be bold, start cold konnte ich ja noch nie umsetzen. Gefühlt bleibe ich ständig stehen und ziehe eine Schicht nach der anderen aus. Wie zu Beginn jeder Tour komme ich in den ersten Kilometern nicht richtig ans Laufen. Zu warm, Durst, Pipi, Gurte neu einstellen, muss was trinken aber die Flasche ist blöd eingeklemmt, toll hier, Foto machen, Schuh enger binden, Sonne brennt, ich muss mich eincremen, was, schon wieder Pipi? Ich nerve mich selbst mit den ständigen Unterbrechungen. Ich will gehen!

    Allerdings gern etwas weniger steil bergauf. Durch Geröllhalden tappse ich bis hoch zum Turm, den ich ganz für mich alleine habe. Der Aufstieg im Turm ist eine enge Kletterei über historische Holztreppen, aber der Ausblick lohnt sich: schön ist es hier! Da unten war ich vor kurzem noch, und die Hügel im Nordosten lassen ahnen, wo ich heute noch hingeführt werde.

    Jetzt geht es erst mal wieder bergab, durch blümchenfrische Frühlingswälder, und dann wieder hoch. Die Wegführung ist schön, besonders gut gefällt mir der Abschnitt des „Alpenpfads“, der sich mit vielen Windungen und null Steigung in einen Hang schmiegt. Hier begegnen mir das erste Mal Menschen; der Abschnitt scheint beliebt zu sein, besonders bei Gassigehern. Viele schwitzen, weil sie frostgerecht losgelaufen sind. Ich gehe inzwischen im Kurzarmshirt mit hochgekrempelten Hosen, und ändere das auch erst beim abendlichen Gewitterregen. Aber so weit sind wir noch nicht.

    Vorbei an einem Flugplatzgelände wird es jetzt wiesig mit Aussicht, das erinnert mich an die Rhön. Noch gibt es keinen Flugbetrieb, vor dem die Schilder so warnen, und ich erreiche unbehelligt das nächste Highlight: die Helfensteine mit Keltengeschichte. Hier sehe ich eine Markierung, auf die ich mich schon gefreut hatte: ab hier teilt sich der Habichtswaldsteig die Strecke mit dem Nord Süd Trail. Ab hier nutze ich gelegentlich die App "Wanderfreund", um die Strecke zu checken.


    Auf dem Weg hoch zum Dörnberg wird mir nochmal so richtig warm, allerdings entschädigt die Aussicht oben. Ich will gerade weiter gehen, da wird mir bewusst, dass ich seit geraumer Weile eine verdächtig stechende Stelle an meinem Fuß ignoriere. Ich nutzte die Bank, um meine Füße zu lüften, und begutachte misstrauisch die Problemstelle. Noch ist nichts zu sehen, aber ich klebe trotzdem vorsorglich einen Streifen Tape auf. Eigentlich ein toller Ort, um eine anständige Pause zu machen, außerdem bin ich hier komplett alleine. Ich checke die Wettervorhersage, ob sich am angekündigten Gewitter heute nachmittag etwas geändert hat und ich mehr Zeit habe – nein. Wenn ich mich nicht beeile, muss ich mein Zelt in Regen und Gewitter auf der gebuchten Trekkingplattform aufbauen. Das will ich vermeiden, denn mein Zelt steht nicht frei, und ich habe noch keinen Plan, wie ich es ohne Heringe aufstellen kann. Ich entscheide, im Laufen zu snacken, aufs Kaffee kochen zu verzichten und gönne mir keine längere Pause mehr, ehe ich die Zeit nicht besser abschätzen kann.

    Vom Dörnberg geht es bergab, und das ziemlich steil. Mir kommt eine Tageswandertruppe entgegen, mit denen ich nicht tauschen möchte. Aber der Wald, durch den es geht, ist beeindruckend.



    Als ich wieder ins Freie komme, wird es etwas langweiliger. Ich gehe stückweise auf Straßen, Schotter- und Feldwegen, dann wieder in Wälder und über Viehweiden. Mein nächstes Teilziel ist der Herkules von Kassel. War ich eben noch ziemlich allein unterwegs, steppt hier der Bär. Ich winke einmal gen Kassel herunter und dem nackten Herkuleshintern hinauf und ziehe weiter, denn jetzt knurrt mir der Magen. Nach meiner Schätzung bleibt mir noch genug Zeit für einen Abstecher zum Waldgasthof „Herbsthäuschen“ kurz vor meinem Schlafplatz (Danke für den Tipp, bifi !). Ich will Essen! Außerdem muss ich dringend Wasser auffüllen. Das Essen ist lecker und Auffüllen darf ich auch.

    Satt bringt mich eine kleine Schlucht hinunter an den Rand des Firnsbachtals. Hier fließt üblicherweise Wasser, man sieht es, aber derzeit nicht, denn es ist ein staubtrockenes Frühjahr gewesen, was mir schlechte Laune macht. Es ist wunderbares Wanderwetter, aber jeder umgekippte Baum – und davon sehe ich mehr als mir lieb ist – gibt mir einen kleinen Stich.
    Immerhin führt der Firnsbach Wasser, der in der Nähe entspringt. Ich fülle meinen Befree mit einem Extraliter auf und laufe die letzten Meter zum Trekkingplatz. Es ist noch Nachmittag, 24,6 km und 900 Höhenmeter zeigt meine Uhr, aber eigentlich mag ich noch nicht stoppen. Hätte ich keinen festen Schlafplatz gebucht und nicht das Wetter im Nacken, wäre ich gern noch weiter gegangen.

    Shit. Auf dem Platz steht ein Auto und daneben ein Mann. Wer fährt mit seinem Auto auf Trekkingplätze? Was will der da? Das Buchungssystem lässt keine Mehrfachbuchung zu. Und befahren mit Auto ist auch nicht erlaubt. Hier ist außerdem gar kein richtiger Weg. Ich gehe erst mal vorbei und drehe dann wieder um. Ich ärgere mich, über mich, über die Lage. Ich will da jetzt aufbauen, das Gewitter rückt an. Ich will auch nicht automatisch Mann und allein im Wald und Unbehagen verknüpfen. Jeder Typ würde sich nichts dabei denken, warum muss ich das als Frau tun? Muss ich das? Ich darf da sein und ich will da auch sein!
    Jetzt steigt er ein und legt den Rückwärtsgang ein. Wie praktisch!

    Als er an mir vorbei rollt, hält er an und kurbelt das Fenster runter. Er meint, es sei ein schöner Ort zum Rasten, und es gäbe sogar einen Platz zum Übernachten. „Ja“, sage ich, „den habe ich gebucht.“ Da erklärt er, dass er Jäger sei, und dann diese Nacht nicht hier jagen würde, wenn ich hier wäre. Er warnt mich, dass aber Wildschweine vorbeikommen könnten, es gäbe ein, zwei Rotten, er würde das sagen, damit ich mich nicht fürchten müsse. Als ich sage, dass ich mich freuen würde, wenn ich sie höre, scheint er das gut zu finden. Wir trennen uns freundlich.

    Wieder allein mache ich mich daran, mein freistehendes Zelt auf die Plattform zu klöppeln. Der Platz ist schön, aber man hört die Autobahn sehr laut. Für beides habe ich aber gerade keinen Kopf, denn die App zeigt baldigen Regenbeginn und stürmische Böen an, und ich McGyvere mit Stock und Stein, um einen vernünftigen Aufbau hinzubekommen, was mir so mäßig gelinkt:
    RE: Nicht freistehendes Zelt auf Trekkingplattform aufbauen .
    Als ich halbwegs zufrieden bin, koche ich mir den ersten Kaffee des Tages und trinke die Reste im Zelt, denn nun ist das Wetter da.

    Die Autobahn höre ich jetzt gar nicht mehr. Der Regen prasselt, das ist erst mal gemütlich. Aber zum Regen gesellt sich bald stetiges Grummeln, und das gefällt mir gar nicht. Ich habe Netz, und suche mir einen Gewitterradar. Die Chancen, dass mich im Zelt ein Blitz erwischt, sind geringst. Aber ich bin Gewitterschisser und um mich herum blitzt es. Am Abend zuvor hatte ich mir noch die Backpacking-Light-Folge zum Verhalten bei Gewitter auf die Ohren geklemmt (https://backpackinglight.com/episode-85-bac…isk-management/) und weiß: meine Rahmenbedingungen sind nicht ganz ideal, außerdem traue ich dem alten Baum nahe der Plattform nicht, sollte es Starkwind geben. Scheiß aufs gemütliche Zelt, ich werfe meinen Poncho über und ziehe auf die Komposttoilette um. Dort lege ich meine Evazote auf den Deckel und hocke mich darauf, bis das Schlimmste vorbei ist.


    Irgendwann höre ich auch die Autobahn wieder. Es wird auch gar nicht mehr richtig hell. Ich hänge noch meinen Futterbeutel gegen Waschbärenhunger wieder an einer Hängemattenstange auf, putze Zähne, ordne meinen Kram, checke das Wetter morgen (wieder Gewitter am Abend, hmpf), schicke meinen Lieben ein Lebenszeichen und muckele mich in mein Bettchen. Gute Nacht, Wildschweinchen.

  • Hach… manches kommt mir bekannt vor… nicht der Weg … das Drumherum :D … ich konnte auch noch nie kalt starten…

    "Nichts leichter als das", antwortete Frederick. "Komm mit!"

  • Hach, meine Lieblingsetappe 💕

    Sehr schön geschrieben, ich freue mich schon auf den Rest - besonders,ob du die die 38km gut überstanden hast...😅

    Gerne hätte ich ja ein bisschen Trail-Magic gezaubert, aber mein Dienst ging bis halb zehn, schade schade......

  • das Drumherum :D

    Das Drumherum bleibt mir meist am besten in Erinnerung :) Ich finde das bei anderen immer am Interessantesten. Die puren Wegbeschreibungen stehen ja schon in jedem Wanderführer.

    ein bisschen Trail-Magic gezaubert

    Der Gedanke zählt! :* Aber ob auf der Komposttoilette Platz für uns beide gewesen wäre, bezweifle ich! ^^

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