• Übersicht/Vorgeschichte

    Eigentlich wollte ich 2020 dem E6 folgend von Stockholm bis nach Passau, meiner Heimatstadt, laufen. Aufgrund der Pandemie wurde daraus aber nichts. Letztlich habe ich mich dann dazu entschlossen das grüne Band (Gröna Bandet/GB) zu laufen. Für die, die es nicht wissen, dabei sucht man sich seine eigene Route von Grövelsjön im Süden des schwedischen fjälls bis nach Treriksröset im Norden (oder halt andersrum). Weil ich nicht viel Zeit für Vorbereitungen hatte, bin ich dann damals mehr oder weniger nur die dümmst-anzunehmde Route gelaufen. Das hat mich im Nachhinein recht geärgert, weil ich ziemlich viel auf Strassen unterwegs war und sicher so einiges an highlights verpasst habe. Ein zweites Mal wollte ich das gröna band aber nun auch nicht machen. Ich habe mir das Buch Gröna Bandet von Jörgen Johansson besorgt und es förmlich verschlungen. Er beschreibt darin eine Menge weniger bekannte Routen, die es seiner Meinung nach wert sind, besucht zu werden. So bin ich seither eigentlich immer wieder auf Vorschlägen aus diesem Buch unterwegs und verbinde sie mit eigenen Ideen und Wünschen. Soweit die Vorgeschichte zu dieser Tour.

    Die Grundidee war von Hemavan nach Abisko zu laufen, aber so gut es geht nicht auf dem Kungsleden (ikke = nicht). Zum Einen wollte ich irgendwie via Vuoggatjålme und Mávas von Süden her ins Padjelanta. Ausserdem wollte ich dabei durchs Nasafjäll. Ich wollte endlich mal auf den Skierffe und unterwegs so viele Gletscher wie möglich mitnehmen.

    Gesamtlänge der Tour: ca 560km
    Zeitraum: Mitte Juli bis Mitte August, 28 Tage wandern, 3 Ruhetage
    Teilabschnitte:

    Einen zugehörgen GPS Track gibt es auch: Ikke_Kungsleden.zip! Und natürlich eine Packliste.

    Ich werde jetzt so nach und nach die einzelnen Abschnitte dokumentieren (hoffentlich).

    9 Mal editiert, zuletzt von PositivDenken (19. Dezember 2024 um 15:05)

  • Klingt spannend - aber: Ich habe zwar gerade erst angefangen, die Sprache zu lernen, trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass "ikke" kein schwedisches Wort ist!

  • Gut erkannt! Die Schweden schreiben es „icke“. Ich nehm die norwegische Schreibweise als Hinweis darauf, dass mich die Tour auch durch Norwegen geführt hat. ;)

    Wieder was gelernt, ich dachte, die Schweden würden nur "inte" kennen ...

    Als norwegisch Sprechende war ich zunächst vom Titel maximal verwirrt und habe dann erfreut festgestellt, dass es genau das heißen soll!

  • Schöne Tour.

    Das Gröna Bandet steht auch auf meiner Liste ziemlich weit oben. Ist meines Wissens neben NPL (Norge pa langs) eine der Touren in Europa, wo es keinen vorgegebenen Wanderweg gibt.

    Die Karte zeigt links oben, dass Du Topo GPS benutzt. Das ist auch meine bevorzugte App zur Navigation.

    Benutzt Du nur die App zur Navigation oder planst Du auch mit der Desktop-App von Topo GPS?

  • OT Gröna Bandet steht auch auf meiner Liste. Befürchte nur, dass ich da zu wenig Erfahrung für habe. Würde mich aber über deine Gedanken freuen, wenn du sie dann hier teilst (-:

  • 1. Teilabschnitt Hemavan - Vuoggatjålme (Camp Polcirkeln)

    Wir nehmen Bus und Bahn von Stockholm aus. Wir das sind Jule, Emmi (Namen geändert) und meine Wenigkeit. Jule, eine Deutsche, wusste von Anfang an, dass sie nur zwei Wochen Zeit hat, Emmi, Schwedin, wollte mich eigentlich die gesamte Tour begleiten. Dazu später mehr. Je näher wir an Hemavan herankommen, desto mehr Regen wird es. Wir steigen kurz nach Mittag aus dem Bus und stellen kollektiv fest, dass wir bei dem Wetter absolut keinen Bock auf Wandern haben. Also erstmal ins Shopping Center und was essen. Emmi kauft sich auch noch ein Merino-Oberteil im Sportgeschäft. Warum nicht?!

    Mit vollem Bauch ist die Stimmung deutlich besser und der Regen hat auch nachgelassen. Von hier aus geht es jetzt dann doch notgedrungen erst einmal auf den Kungsleden.

    Am offiziellen Start-Tor wiegen wir nochmal unsere Rucksäcke, was zu einer guten Mischung aus Schock, Unverständnis und Gelächter führt. Es hilft ja nix! Wir haben jeweils für 9 Tage Essen dabei, das erklärt vielleicht die Verzweiflung. Denn wer den Kungsleden kennt, der weiss, es geht erstmal ordentlich bergauf. Typischerweise ist der Rucksack da am schwersten, die eigene Form weit entfernt von "Top" und allgemeine läuft die ganze Maschinerie noch nicht so richtig.

    Angepeilt ist kurz nach der Viterskalstuga zu zelten, dort wo der Pfad hoch auf den Syter abzweigt. Da steht nämlich praktischerweise auch ein Toilettenhäuschen. Und so kommt es denn auch, wir verbringen die erste Nacht dort bei grauem Wetter und mäßigem Wind.

    Ein erster Praxistest den Jule mit einer Yoga-Session am Morgen versüßt. Dabei fällt uns eine ältere Frau auf, die mehrmals zwischen Toilette und Trail hin- und herrrennt. Wir lernen sie kurz darauf in der nächsten Schutzhütte kennen, nennen wir sie Inge, und wandern so erstmal zu viert weiter. Sie ist auch Deutsche, wohnt aber seit Jahrzehnten irgendwo bei Luleå. Sie ist Ärztin und hat einen scheinbar unerschöpflichen Vorrat an lustigen Geschichten. Sie ist eigentlich Bikepackerin, aber aufgrund einer Verletzung jetzt zu Fuss unterwegs. Sie mag es nicht, aber "was soll's"? Als wir am Tärnasjö ankommen, muss ich mit Entsetzen feststellen, dass sie gerade dabei sind, die wunderschönen, geschwungenen, hölzernen Hängebrücken durch olle Metallbrücken zu ersetzen. Kein Geld?

    Wir zelten kurz vor der Tärnasjöstuga, direkt am See. Besonders lustig ist das Gebaren von Inge, die uns lang und breit erklärt, dass ihr Zelt ja zwei Apsiden hätte und eine davon fürs Pullern reserviert ist. Und so testet sie jeden potentiellen Platz auf optimale Pullerbarkeit indem sie in der Hocke im Kreis springt. Ein Bild für Götter.

    Am nächsten Morgen müssen wir uns aber schon von Inge verabschieden, sie folgt weiterhin dem Kungsleden, während wir an den Stugorna dem markierten Weg nordwärts Richtung Vindelälven folgen. Es fängt an zu Regnen und binnen kurzer Zeit sind wir nass bis auf die Knochen. Ich lerne meine neuen Schuhe zu hassen, weil sie zwar aus Leder sind aber dort wo die Zunge wäre nur so eine Art dicke Socke haben und das Regenwasser einfach geradewegs direkt in den Schuh läuft. Gut durchdacht! Unterwegs kommen wir an einer alten Sami-Kåta vorbei und machen dort kurz Mittagspause. Angesichts der vorherrschenden Mäuseplage würde sich ein längerer Aufenthalt auch nicht wirklich anbieten. Wir ziehen weiter, vorbei an der Skidbäckstuga, trocknen dort kurz Ausrüstung und zelten letztlich kurz vorm Vindelälv in der Nähe des Stuor Duhkiejávrrie. Der nächste Tag führt uns zunächst vorbei an einer weiteren Hütte, in der gerade ein Trupp Jäger haust, die auf ihren Helikopter warten. Echte Naturburschen also! Jule ist begeistert von deren "Jagdtrophäen" (ich glaube nicht, dass die überhaupt was erwischt haben). Weiter geht es nach Vindelkroken, ein Sameby, wo man sich auch Hütten mieten könnte. Kurz vorher treffen wir noch eine Frau mit Hund aus anderer Richtung kommend, die dort mehrere Wochen zugebracht hat. Ansonsten herrscht dort tote Hose, wir brauchen ein Weilchen, bis wir endlich die Rasthütte finden, entscheiden uns aber nur kurz zu bleiben und noch ein bisschen weiterzulaufen. Wir folgen einem ATV-Pfad in westlicher Richtung und queren schließlich die norwegische Grenze. Kurz dahinter zelten wir direkt an einem kleinen See. Mittlerweile plagt mich eine schmerzhaft entzündete Blase, die wohl dank der ständig nassen Füße entstanden ist, die gegen das Leder scheuern. Blasenpflaster halten auch keine bei all der Nässe. Aber ich bin nicht der einzige mit Problemen. Bei Emmi entwickelt sich eine plantar fasciitis und Jule erfreut sich einer wachsenden Archillessehnenentzündung. "Kein Problem, bin ich gewöhnt!", soweit so schlecht.

    Es geht vorbei an den norwegischen Virvasshütten und nun wieder Richtung Norden. Auf halber Strecke steht eine alte, knarzige Hütte. Sie hat eine winzige Tür und steht auf Stelzen. Der Wind pfeift ohne Ende und wir beschließen dort eine ausgiebige Mittagspause abzuhalten. Der Trail in Norwegen ist wie erwartet nicht ganz so gut markiert und gern sumpfig. Wir beschließen den Tag ein paar Kilometer vor dem Beginn des Nasaleden, bevor es für ein kurzes Weilchen auf einer Schotterstraße dahingehen würde. Emmi wollte unbedingt drinnen schlafen, auf der Karte ist etwas eingezeichnet. Allerdings etwas widersprüchlich, denn auf der einen ist es nur ein offenes Shelter, auf der anderen eine richtige Raststuga. Wir lassen deshalb leider einen Class-A Zeltplatz gegen meinen Willen links liegen und machen uns auf die Suche nach dieser Hütte. Letztlich finden wir sie, es ist eine alte verfallene Sami-kåta in mitten eines Sumpfes. Satz mit X. Wir zelten in der Nähe, eingezwängt irgendwie zwischen Sträuchern und Büschen.



    Jetzt geht es endlich auf den Nasaleden. Diesen Weg hatte ich auf meiner Karte gesehen, konnte aber kaum etwas dazu in Erfahrung bringen. Das einzige war eine Tourbeschreibung auf ODS (nicht mehr auffindbar). Er wird wohl nicht mehr gepflegt und daher auch kaum beworben. Schon nach ein paar Kilometern auf dem Trail verändert sich die Landschaft rapide. Wo gerade noch alles üppig und grün war, wird es plötzlich sehr karg. Steine und Geröll, soweit das Auge reicht, und schon bald queren wir auch wieder die Grenze zurück nach Schweden. Bald sehen wir auch schon die Warnschilder, über die ich auch schon im Internet gelesen hatte. Längs des Weges findet sich eine alte Silbermine und die Gewässer rings um sind bis heute gesundheitsgefährdend mit Schwermetallen belastet. Etwas südlich der eigentlichen Mine ist eine kleine Rasthütte, welche gleichzeitig als eine Art Minimuseum fungiert und an die unbeschreiblichen Gräuel und Entbehrungen unter denen die Menschen vor ein paar hundert Jahren dort gelebt und gearbeitet haben. Die Mine hatte ihren eigenen Friedhof, um all die Leute zu bestatten, die dort ums Leben kamen. Sie wurde erstmals in der Mitte des 17. Jahrhunderts betrieben. Es arbeiteten dort überwiegend Menschen, die vor die Wahl gestellt worden waren, entweder als Soldaten in den Krieg gegen Dänemark zu ziehen oder aber eben in der Mine zu arbeiten. Da der Betrieb zu viele Tote forderte ging man dazu über eine Schicht auf je drei Monate zu begrenzen. Die dort ansäßigen Samen wurden zwar nicht zur Arbeit in der Mine gezwungen aber wurden verpflichtet mit ihren Rentieren für Logistik und Transport zu sorgen. Viele der Tiere überstanden diese Torturen nicht und so blieb vielen Samen oft nur die Flucht, weil sie all ihre Hab und Gut verloren hatten. Dabei war die Mine nie kommerziell erfolgreich, hat nie wirklich die erhofften Mengen an Silber gefördert und wurde letzten Endes noch von den Dänen erobert. Deprimiert ziehen wir weiter. Die Landschaft ist offen und weit. Wir verlieren den Weg, aber das ist egal. Irgendwo finden wir andere, ältere Markierungen und folgen diesen. Wir übernachten bei recht rauen Verhältnissen zwischen zwei kleinen Seen.

    Der nächste Tag beginnt, wie der alte geendet hatte: elegantes, zügiges Wandern im kallfjäll. Schließlich erreichen wir das Smuolevágge. Der Weg führt nördlich davon in gutem Abstand zur Baumgrenze. Die Aussicht kann sich meiner Meinung nach fast mit dem berühmt-berüchtigten Rappadalen messen lassen. Wir machen auf einer Anhöhe Pause und ich bringe es zustande, den Topfständer meines Soto Windmasters zu verlieren. Nicht weil ich ihn benutzt hätte, sondern einfach, weil ich meinen Löffel brauchte und dieser zusammen mit dem Topfständer im Topf war. Der einzige Nachteil dieses Kochers, den ich sonst so gern mag. Aber was hilft es mir, wenn er nun praktisch unbenutzbar war? Leider ändert sich auch der Trail schon bald. Wir tauchen unter die Baumgrenze ab und spätestens ab dort, wo auf der Karte Gebüsch (vide) eingezeichnet sind, verwandelt er sich in die reinste Hölle. Es sind weniger die Weiden als vielmehr die kleinen Birken, die so zäh sind, dass man ihre Äste keinen Millimeter biegen kann, und wenn doch, bekommt man als Folge meistens ordentlich eine gewatscht. Wegmarkierung findet sich keine mehr, der Weg ist komplett überwachsen. Zu allem Übel besteht er aus einer Mischung aus Sumpf, Geröllblöcken und halt eben Büschen, Sträuchern und Bäumchen. Für die ca vier Kilometer zum Gujjávrre brauchen wir gut drei Stunden. Zu allem Übel ist die Hütte voll besetzt, ausserdem stellen wir fest, dass man sie eh im Voraus hätte buchen müssen. Wir zelten ausser Sichtweit untem am See, ist mir eh lieber, aber spätestens jetzt ist bei Emmi die Stimmung am Nullpunkt angekommen. Wir gehen nackt baden und irgendwie sind danach alle wieder happy und frohen Mutes. Und das obwohl es direkt anfängt zu regnen.



    Vor dort nehmen wir den Trail weiter östwärts Richtung Silvervägen. Auch hier dominieren Sümpfe, die Landschaft ist in Nebel gehüllt, der ab und an den Blick auf einzelne Seen und Rentiere freigibt. Diese sind scheinbar mindestens so überrascht wie wir, jedesmal wenn sich ein Loch in der Nebelsuppe auftut und es was unerwartetes zu sehen gibt.

    Wir erreichen schließlich die Strasse und anstatt nach Vuoggatjålme machen wir uns auf Richtung Camp Polcirceln, da es nur dort eventuell Nachschub an Nahrung gäbe. Ausserdem wollten wir dort auf dem Campingplatz bleiben und uns duschen etc., was man halt so macht. Leider ließ der Shop dort sehr zu wünschen übrig, das größere Problem aber war, dass der Campingplatz nur für RVs gedacht zu sein scheint, es gibt gar kein richtiges Servicegebäude und all die Hütten waren auch ausgebucht. Und so versuchten wir stattdessen nach Jäkkvik zu kommen. Leichter gesagt als getan, der nächste Bus kommt erst in zwei Tagen. Also per Anhalter? Wir stehen zwei Stunden in der Kälte, bis wir aufgeben. Das Personal im Shop war ganz zuckersüß und stand uns die ganze Zeit mit Tipps zur Verfügung und hat sogar versucht privat eine Mitfahrgelegenheit zu besorgen. Leider ohne Erfolg. Und so standen wir immer noch dort an dieser traurigen Kreuzung, bis Jule irgendwann bemerkt "hey, wo kommen denn all die Leute plötzlich her?". Stellt sich heraus, ein deutscher Reisebus war angekommen, auf dem Weg zurück von den Lofoten. Wir erklären kurz unser Dilemma und werden ohne weiteres Wenn und Aber mitgenommen. Im Bus gibt es nur jeden erdenklichen Komfort. Von Tee und Kaffee, bis Wein und Bier, und sogar Cocktails werden angeboten. Von den Snacks gar nicht erst zu reden. Als Entschädigung müssen wir einen Lebensvorrat an Boomerwitzen über uns ergehen lassen. Nun war es jedoch so, dass Jule ohnehin nach Hause musste und Emmi mit ihren Schmerzen im Fuss auch nicht mehr weiterlaufen wollte. Und so stieg ich letztlich alleine in Jäkkvik aus, während die anderen beiden mit bis Arjeplog fuhren um von dort aus den Rest der Heimreise anzutreten. Ich ergatterte mir ein Bett im Kyrkans fjällgård und ratet mal, wen ich dort am übernächsten Tag getroffen habe?

    5 Mal editiert, zuletzt von PositivDenken (10. Oktober 2024 um 19:54)

  • Das Gröna Bandet steht auch auf meiner Liste ziemlich weit oben. Ist meines Wissens neben NPL (Norge pa langs) eine der Touren in Europa, wo es keinen vorgegebenen Wanderweg gibt.

    Es gibt noch die TGO Challenge in Schottland. Das ist aber erstens etwas formeller und zweitens deutlich kürzer (so 14 Tage wenn ich mich recht erinnere). Dort muss man seine Route vorab fix erstellen und an ein Team von Vetters einreichen, welche dann mit Rat und Tat zur Seite stehen um sie zu finalisieren. Man muss sich dann auch von unterwegs regelmäßig melden, damit die nicht Alarm schlagen.

    Benutzt Du nur die App zur Navigation oder planst Du auch mit der Desktop-App von Topo GPS?

    Ich plane idR entweder sogar vom Smartphone aus oder aber halt mit meinem iPad. Dass es auch eine Desktop-App gibt, hab ich erst gestern bemerkt.

  • Gröna Bandet steht auch auf meiner Liste. Befürchte nur, dass ich da zu wenig Erfahrung für habe. Würde mich aber über deine Gedanken freuen, wenn du sie dann hier teilst (-:

    Hatte eigentlich nicht vor mein Gröna Bandet vorzustellen, das wird erstens irgendwie zu lang (siehe mein Vita Band) und außerdem war meine Route nicht sonderlich spektakulär. Erst Södra Kungsleden, dann Gestocher, dann quasi Lapplandsleden und abschließend Kungsleden. Bei mir ging es damals pandemiependingt von Sälen bis Abisko. Aber wie du siehst, wenn man will, dann geht es fast ununterbrochen auf markierten Wegen oder halt Straßen dahin. Es gibt an sich nur noch ein kurzes Stück übers Hotagsfjäll, wo keine markierten Wege sind. Und selbst da gibt es ATV Tracks und alte Sami-Pfade (markiert), denen man folgen kann. Frag einfach, wenn du was bestimmtes wissen willst. Gern auch per PM, wenn dir das lieber ist. Oder wir machen nen eigenen Gröna Band Frage und Antwort-Thread. Damit andere auch mitlesen und -schreiben können.

    2 Mal editiert, zuletzt von PositivDenken (10. Oktober 2024 um 17:46)

  • 2. Abschnitt, Vuoggatjålme bis Stáloluokta

    Nach einem Ruhetag in Jäkkvik geht es weiter. Jäkkvik ist deswegen so toll, weil da ein richtiger ICA Supermarkt ist. Und ausserdem ist der Kyrkans fjällgård auch einfach eine echte Perle. Nun, wen hab ich kurz vor meiner Abreise getroffen? Inge! Sie kam total durchnässt an und war fix und fertig mit ihren Nerven. Sie erzählte mir, dass sie jetzt nur hier ihre Sachen trocknen will und dann nichts wie nach Hause. Darauf zeigte ich ihr die aktuelle Wettervorhersage: Eine Woche lang herrlichster Sonnenschein und sommerliche Temperaturen. Ich sagte ihr, sie würde sich eine Riesenchance vergeben, wenn sie jetzt einfach die Segel streichen würde. Nach ein bisschen hin und her hat sie sich dann doch entschlossen, hier einen Ruhetag zu verbringen und dann weiterzumarschieren. Hurra! Und ich? Ich buchte ein Busticket, begab mich zu ICA und wartete. Und wartete und wartete. Doch da kam kein Bus. Nachdem ich zum 20. Mal den Fahrplan überprüft hatte, ging ich nach drinnen um Nachzufragen, vielleicht weiss vom Personal ja jemand was genaueres. Einhellige Meinung: heute fährt kein Bus! Warum dem so ist und weshalb der Fahrplan was anderes sagt, konnte mir keiner erklären. Es scheint sich um eine Art kollektives Landbevölkerungs-Borg-Bewusstsein zu handeln. Also doch wieder trampen! Zuversichtlich stellte ich mich an die Strasse und wartete. Eine halbe Stunde später bleibt ein Auto mit Anhänger stehen. Sie waren eigentlich schon an mir vorbeigefahren, hielten dann aber doch noch an. Wie es sich rausstellt eine recht christlich geprägte Familie aus Finnland, die nun aber in Schweden lebt - „gute Arbeitsplätze“ - und gerade auf Urlaubsfahrt ist, nicht unweit von ihrem Zuhause. Sie haben sich wohl meiner erbarmt - „jeden Tag eine gute Tat“. Mir soll‘s recht sein, zu irgendwas muss es ja gut sein. Sie erzählen mir von ihrer christlichen Gemeinde aber ohne irgendwie missionarisch rüberzukommen. Eigentlich ganz interessant. Wir bleiben an einigen Sehenswürdigkeiten stehen, machen Fotos und letztlich schmeißen sie mich an der Kreuzung nach Vuoggatjålme raus, also genau da, wo wir zwei Tage vorher aus dem Dickicht gekrochen kamen.

    Es geht ein Weilchen auf einer Straße dahin, bis ich endlich vor dem relativ bekannten Gasthaus stehe. Ich lasse es aber links liegen und ziehe weiter. Ein bisschen später bin ich wieder auf einem single trail und finde mich Mitten in einem echten fjällurskog wieder, ein alter, unberührter Wald aus überwiegend Birken aber auch Kiefern. Alte Bäume, junge Bäume, tote Bäume. Genau das, weshalb ich hier unterwegs bin. Jörgen Johansson beschreibt das Seldutvágge als eine in Vergessenheit geratene Perle des schwedischen fjälls. Ein echter Geheimtipp also. Ich genieße die nächsten Stunde der Wanderung zutiefst. Ich finde einen perfekten Zeltplatz in Seenähe direkt unter ein paar Kiefern und haue mich aufs Ohr.

    Früh am nächsten Tag verlasse ich den Urwald, es wird deutlich langweiliger. Brav aufgereihte Birken, auf ihre Abholzung wartend. Ich folge einer schnurstracks geraden Schneise. Und plötzlich ist es auch vorbei mit der guten Markierung. Da scheint das Team noch nicht weitergekommen zu sein, denn bislang war alles ganz neugemacht. Es wird auch deutlich sumpfiger und bald sind auch alle Birken von dieser fiesen Krankheit befallen, die sie halbtot und siech erscheinen lässt und sie letztlich zum Absterben bringt. Am Flussufer entdecke ich ein Camp von Anglern, die fachmännisch ihre Hängematten in Mitten von lauter toten Bäumen befestigt haben; am Horizont eine Wolke, welche frappierende Ähnlichkeit mit der Büste von Charles Darwin trägt. Wer ist schneller, er oder der Helikopter, der sie abholen kommt? Ein paar Stunden später treffe ich auf den Pfad, der südwestlich von einem Wanderparkplatz am Silvervägen kommt. Ab hier treffen ich regelmäßig auf Leute, hauptsächlich Norweger, wie mir scheint. Irgendwie naheliegend. Ich schaffe es bis zum Ikkesjávrre und baue dort mein Zelt auf.

    Heute würde es spannend werden, ich war schon etwas nervös beim Aufwachen. Normalerweise würde ich dem Pfad Richtung Mávasjávrre folgen, dort gibt es ein Semaphore und nach Umlegen des Signals wartet man darauf von der anderen Seite abgeholt zu werden. Die Person, die das bislang all die Jahre gemacht hat, macht das aber nicht mehr. Sonderlich billig wäre es ohnehin nicht gewesen. Allgemein wird empfohlen stattdessen den See an seinem östlichen Ende zu queren, dort soll das Wasser wohl nur so hüfthoch sein, sofern es nicht zu viel geregnet hat. Darauf hatte ich aber keine Lust. Ich habe zumindest eine Routenbeschreibung gefunden, wo ein Gröna bandare entlang des Südufers nördlich des Arjep-Sávllo entlanggegangen ist. Auch das empfand ich als wenig freudebringend. Also habe ich im Vorfeld in einschlägigen Foren erfragt, ob man nicht direkt über das Gebirge gehen könne. Nach allgemeinem Dafürhalten habe ich mich also für diese Variante entschieden. Kurz nach der Ikesjaurestugan biege ich demnach links gen Norden ab und folge dem Skårvåjåhkå stromaufwärts bis er sich irgendwann unterhalb von ein paar Altschneefeldern verliert. Hier wird es ein bisschen knifflig, da sich unterhalb dieser Schlickfelder gebildet haben, die nicht so ganz trivial zu passieren waren. Ich weiche Richtung Westen aus und bleibe so immer in nicht allzu steilem Terrain. Im Grunde alles recht einfach zu erwandern, oder Rollator-tauglich, wie es eine gute Freundin von mir formulieren würde. Auf ca 1250m Höhe lässt sich der Gipfel des Arjep-Sávllo bequem an seiner westlichen Flanke passieren und es eröffnet sich ein sagenhafter Blick auf den Ikkesjávrre, das Ganze bei strahlendem Sonnenschein. Alles richtig gemacht! Ein wildgewordenes Rentier leistet mir für eine Weile Gesellschaft und führt ulkige Tänze im Schnee auf. Ich flaniere weiter Richtung Nordwest, treffe auf ein herrliches Hochplateau mit mehreren Seen und mache mich letztendlich an den Abstieg. Ich folge einem kleinen Bach auf der linken Seite. Es wird steiler und steiler und bald erkenne ich, dass es rechts des Baches viel einfacher gewesen wäre. Zu spät! Immer wieder muss ich bis zu 2-3m tief runterklettern. Richtig prickelnd finde ich das nicht, rutsche ich hier ab, findet mich so schnell keiner in dieser Einsamkeit. Irgendwann bin ich dann aber doch unten im Tal angekommen und treffe auf einen Pfad, der kein Wanderpfad ist, wie ich dachte, sondern wieder einmal ein ATV track der wohl zum Mávasjávrre führt. An einer Flussschlinge schlage ich auf einer kleinen Anhöhe mein Lager auf, gehe mich Waschen und sage den nicht vorhandenen Lemmingen Gute Nacht.

    Weiter geht es in Richtung Norwegen, erst an einem richtig urigen Canyon entlang, dann drehe ich mehr nordwärts ab und passiere den Vuotsas leicht westlich dessen Gipfels. Ein phantastischer Blick auf das Ballvatnet lässt mein Wanderherz höherschlagen. Mein Pfad ist nicht ganz trivial, weil mich die wellige Landschaft zu einem ewigen Zick-zack-lauf zwingt. Ein paar Falken begleiten mich und versüßen mir den Tag. Bald treffe ich auf einen markierten Wanderweg, dem ich in nördlicher Richtung folge. Ich wechsle auf einen weiteren Pfad Richtung Tjalalveshytta und schlage ungefähr auf deren Höhe mein nächstes Lager auf. Danach geht es weiter Richtung Lomivattnet und Sulitelma. An der neuen Hütte mache ich Rast. Mein Plan war ursprünglich mich danach hinunter in den Ort zu begeben um im Supermarkt dort für Nachschub zu sorgen. Allerdings war in der Hütte soviel übriges Essen (eine ganze Salami, dies und das), Gas sowie Steckdosen um meine Geräte zu laden, dass ich beschloss einfach direkt weiter Richtung Stáloluokta zu ziehen und mich dort im Parvas Kiosk zu versorgen (den gibt es übrigens seit Sommer 2024 nicht mehr, das Geschäft übernimmt vorerst die fjällstation - Zukunft ungewiss). Von nun an ging es auf dem Nordkalottleden weiter. Ich schaffte es noch bis zum ersten größeren See und verbringe dort die Nacht. Recht unspektakulär geht es weiter. NKL eben. Vorbei am Sårjåsjávrre gelange ich schließlich zur Sårjåsjaurestugan. Dort war bereits eine weitere Person, die ihren Rucksack abgestellt hatte, der erste Mensch, mit dem ich seit Jäkkvik ein kurzes Gespräch führe. Und während wir noch reden, sehe ich eine weitere Person am Strand auf uns zukommen. Wild gestikulierend. Seltsam. Als sie bis wenige Meter nahegekommen war, erkenne ich, um wen es sich dabei handelt: mein guter Kumpel Janne (nicht sein echter Name) aus Stockholm. Ich wusste er wäre auf dem Padjelantaleden unterwegs, aber wir haben für uns beschlossen, dass ein Treffen keinen Sinn machen würde, weil es sich einfach zeitlich nicht ergeben würde. Er war aber (wie immer) viel schneller und war dabei eine extra Runde um den Sulitelma zu drehen und so kam er quasi aus falscher Richtung hinter mir her. Crazy! Natürlich sind wir dann erstmal zusammen weitergezogen. Es fing an zu regnen (so richtig) und so beschlossen wir kurz nach Stáddájåhkå Fünfe gerade sein zu lassen und unseren Schlafsäcken das Kommando zu übergeben. Kurz vor Stáloluokta bog er am nächsten Morgen Richtung Kvikkjokk ab, während ich mich auf einen Ruhetag mit Sauna freute.

    2 Mal editiert, zuletzt von PositivDenken (10. Oktober 2024 um 20:18)

  • 3. Etappe: Stáloluokta bis Sáltoluokta

    Ich bleibe zwei Nächte und genieße die Sauna. Kaufe Fisch und Brot in der STF Stuga, sowie den Rest meiner Verpflegung im Parfas Kiosk. Für die geplanten 100km quer durchs Padjelanta und den Sarek packe ich sechs Tage Essen ein. Sicher ist sicher.

    Ich folge einem Pfad, der in ost-südöstlicher Richtung aus dem Samidörfchen hinausführt. Weiss nicht, ob ich was falsch gemacht habe oder nicht aber schon nach ein paar Kilometern wird das teilweise zu einer ziemlichen Kletterei. Bleibe in gutem Abstand nord-nord-westlich der größeren Seen, bis ich mich dann doch entschließe einfach quer zwischen den Seen, südlich des Njallajávrásj Richtung Unna Liemak zu laufen, den ich an seinem Nordhang passiere. Mein Ziel ist der Álájávrre. Kurz davor steht eine Renvaktarhütte, die ist aber verschlossen. Ich folge dem See auf seiner Nordseite. Das ist zuweilen recht mühsam. Und eintönig. Kurz vorm Nuortap Rissávarré habe ich keine Bock mehr und baue bei Wind und Sonnenschein das Zelt auf. Morgen ist auch noch ein Tag!

    Gut ausgeschlafen umrunde ich den Nuortap im Süden und steige zum Álggajávrre ab. Dort treffe ich auf zwei weitere Wanderer, die gerade dabei sind, das Boot klarzumachen. Ich darf einfach mitfahren und spare mir so die Ruderei. Der Rest des Tages besteht hauptsächlich darin, mich durchs Gestrüpp und die Weiden des Álggavágge zu kämpfen. Der Weg wird zwar immer besser und besser, sumpfig zwar aber besser, doch irgendwann hab ich genug und schlag mein Lager auf, nich zuletzt weil ich eine Stelle gefunden habe, die dann doch etwas besser windgeschützt war. Ich spaziere etwas herum und entdecke, dass jemand direkt auf den Weg gesch**en hat und obendrein noch einen massiven Berg Klopapier auf seine Exkremente geklebt hat. Was für Arschlöcher da so unterwegs sind! Mein Aussicht ist trotzdem unschlagbar, ich blicke direkt aufs Sarekmassiv!

    Der Weg entlang des Tals ist wirklich sehr gut, die Flussquerungen sind auch easy und schon bald lasse ich das Sarekmassiv hinter mir und erreiche Skárjá. Ich treffe ein paar Wanderer, die wohl aus dem Basstavágge kommen. So langsam bekomme ich ein mulmiges Gefühl, weil ich auf der Karte sehe, wie steil es bald werden wird und aus der Ferne gefällt mir gar nicht, was ich sehe. Ich bin auf dem Weg Richtung Snávvávágge. Hinter mir braut sich ein Unwetter zusammen. Der Wind frischt auf und eine Regenwand rollt auf mich zu. Na toll! Die steile Stelle ist tatsächlich recht steil, konkret ist ein recht überwachsener Steilhang zu passieren. Das ganze bei Regen zu machen wäre sicher kein allzu freudiges Ereignis, also lege ich noch einen Zahn zu. Hätte ich mal vorher bloß nicht so viel getrödelt! Trotzdem bin ich auf der Suche nach dem spöksten, der auf der Karte eingezeichnet ist und bei dem ich zu Hause schon die Legend darum nachgelesen habe. Schließlich entdecke ich ihn auch. Oben an der Hochebene angekommen, begegnen mir zwei Typen, die in anderer Richtung unterwegs sind. Sie wollen noch „bis runter“. Ich deute auf die Regenwand aber die lassen sich nicht beirren. Nicht mein Problem! Ich treffe auf eine Mutter und ihren kleinen Sohn. Die haben sich den besten Platz da oben geschnappt, die einzig wirklich windgeschützte Stelle weit und breit. Na gut, ich werd‘s wohl hoffentlich überleben und schlage heldenhaft mein Zelt ein paar hundert Meter weiter direkt am See auf.

    Obwohl es grau in grau ist und es immer wieder etwas nieselt, bleibt das Wetter eigentlich ganz okay. Der Morgen ist trotzdem recht frisch, hauptsächlich wegen einer etwas steiferen Brise. Ich mache mich auf den Abstieg ins Rappadalen und kann es kaum erwarten einen Blick auf den rovdjurtorg zu werfen. Tiere seh ich aber leider keine, die Kulisse beim Abstieg vor dem Stuor Skuorki ist trotzdem überwältigend. Vielleicht sogar ein bisschen furchteinflößend. Unten im Tal mach ich zwischen dem Gestrüpp und den Büschen eine Pause und gerade als ich los will, kommt mir ein älterer Mann entgegen. Er trägt einen monströsen Rucksack und stützt sich bei jedem Schritt auf einen schweren Holzstab. Eine Mischung aus Gandalf und Nikolaus. Wir kommen ins Gespräch. Er kommt aus Berlin und ist 75 Jahre alt. Er hat Essen für drei Wochen dabei, sein Rucksack wiegt über 35kg. Das ganze Unternehmen dokumentiert er für seinen YouTube-Kanal. Er beginnt zu erzählen, und so erfahre ich, dass er diese Tour in Gedenken an seine verstorbene Frau macht. Sie wären damals Ende der 80er mit Essen für drei Wochen in den Sarek aufgebrochen, mit nichts als einer groben Skizze in der Hosentasche, die er aus einem Buch abkopiert hatte. Währen der Tour wollte seine Frau die Scheidung einreichen, im Zug nach Hause hätten sie aber schon wieder den nächsten Trip geplant. Am Alep Vássjájågåsj drehe ich gen Westen ab, verlasse das Tal und sehe zu, dass ich an Höhe gewinne. Unterwegs hatte ich mir den Bauch schon ordentlich mit Heidelbeeren vollgeschlagen, aber nun stand ich mitten in Unmengen von hjortron, die ich auf gar keinen Fall einfach links liegen lassen kann. Also stapfe ich durch die Sümpfe und schlage auch hier nochmal ordentlich zu. Ich passiere ein kleines Häuschen und weiter oben, sobald ich oberhalb der Baumgrenze bin, bau ich mein Zeltchen auf. Wie lange es wohl noch bis zum Skierffe ist?

    Die Sache mit dem Skierffe ist nämlich so, dass ich schon zwei Mal auf dem Kungsleden an der Stelle stand, an welcher der Trail zu eben jenem abzweigt, jedes Mal das Wetter aber so schlecht war, dass sie die Mühe einfach nicht gelohnt hätte, einen Umweg zu machen. Three times a charm, right? Als ich aufwache, scheint die Sonne. Mein Herz schlägt höher. Kurz vor einer Bachquerung treffe ich einen netten Typen, der mir den Rat gibt, mich etwas südlich zu halten und dann dort den Steinmännchen zu folgen, das wäre eine sichere Route. Gesagt, getan. Ein paar Stunden später sehe ich das Rappadelta, den Nammatj und natürlich den Skierffe direkt vor mir. Das Wetter ist nach wie vor gut. Ich kann es kaum fassen. Oben angelangt ist da ein holländisches Pärchen, das eine Fotosession hinlegt und selbst wenn ich über ne halbe Stunde warte, geben die den Platz nicht frei und so sind auf den meisten meiner Fotos zwei fremde Leute drauf, die nicht müde werden vor dem spektakulären Hintergrund zu posieren. Nervt gar nicht! Zum großen Staunen anderer Wanderer, folge ich nicht dem Weg Richtung Kungsleden, sondern drehe nach Norden ab, um den Kungsleden erst etwas weiter nördlich zu treffen, und zwar kurz vor der Bootsanlegestelle am Sitojaure. Ich zelte aber ein oder zwei Kilometer vorher und werde von einer Herde Rentiere belästigt, die die halbe Nacht direkt neben meinem Zelt vor sich hin schnauben und kauen.

    Der Rest dieser Etappe verläuft erwartungsgemäß relativ unspektakulär. Am Sitojaure kochen wie immer die Gemüter ob der Preise für die Überfahrt. Eine deutsche Familie mit ihrem Teenie-Sohn beschwert sich lauthals. Um von der Thematik abzulenken verweise ich auf den fjällurskog, den sie gleich durchwandern dürften, das wäre „einer der letzten echten Urwälder Europas“, worauf der Kleine einfach nur mit „Nö“ antwortet. Mehr als ein verstörtes Augenzucken bringe ich als Entgegnung nicht zustande.

    Als ich an der fjällstation die Tür öffne, sitzt eine Reihe Menschen vor dem Kamin und dreht ihre Köpfe zu mir. „Die kenne ich doch irgendwoher!“ schiesst es mir in den Kopf. Nur woher? Ich sehe es ihren Augen an, dass sie sich vermutlich gerade genau dieselbe Frage stellen. Wir schweigen uns dennoch an und ignorieren uns lieber.

    5 Mal editiert, zuletzt von PositivDenken (20. Dezember 2024 um 17:26)

  • Super Bericht und wunderschöne Bilder bis hierhin!:love:
    Berichte aus dem Fjäll holen mich immer ab^^
    Ich zweifel nur immer an der Menschheit, wenn ich Geschichten darüber höre bzw. selbst sehe, wie manche Menschen die Natur hinterlassen bzw. was sie hinterlassenX(
    Sei´s drum, eine Frage hätte ich noch. Du schreibst:

    Weiss nicht, ob ich was falsch gemacht habe oder nicht aber schon nach ein paar Kilometern wird das teilweise zu einer ziemlichen Kletterei

    Könntest du eventuell einen größeren Kartenausschnitt deines Weges hinter Stáloluokta teilen?
    Wenn ich mich nicht irre, ziehe ich diesen Wegabschnitt nämlich auch für eine meiner nächsten Wanderungen in Betracht. Je nachdem, wie du Kletterei definierst, wäre das aber vielleicht doch nichts für mich, dann müsste ich umdenken.
    Vielen Dank schonmal!:)

  • Könntest du eventuell einen größeren Kartenausschnitt deines Weges hinter Stáloluokta teilen?

    Ich hab‘s markiert. Ich glaube, ich hab einfach den Weg verloren. Die Kletterei bestand darin, dass dort so Abbruchkanten sind, über die man hochklettern muss. Also so Hänge von 3-5m maximal, die aber total überwachsen sind mit Sträuchern und kleinen Birken. War einfach etwas unerwartet. Nichts wirklich schwieriges.

  • 4. und letzte Etappe: Sáltoluokta - Abisko

    So, ich schulde ich ja noch die Beschreibung für den letzten Abschnitt. Irgendwie fehlte mir dazu die letzten Wochen der nötige Elan, Spätherbst in Schweden ist nicht unbedingt meine liebste Jahreszeit. Wie ging es nun weiter, wen hab ich da in der fjällstation getroffen? Später des Abends kratze ich meinen Mut zusammen und sprech die beiden einfach an. Sofort schallt mir ein „Jaaaaa!“ entgegen. Aber auch sie haben keine Ahnung, woher wir uns eigentlich kennen. Wir belassen es dabei und trinken gemeinsam ein Bier am Kaminfeuer bevor ich mich verabschiede, ich schlafe im Zelt und in die Sauna wollte ich ja auch noch. Am nächsten Morgen werde ich von den beiden mit einem großen Grinsen im Frühstücksraum begrüßt: „Wir wissen es, wir wissen es!“ - Sie halten mir aufgeregt eines ihrer Handys hin. Zu sehen ist ein Foto, ein Selfie mit uns Dreien aus einem Zugabteil. Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Wir haben uns das Jahr zuvor im Nachtzug zurück nach Stockholm kennengelernt! Es wird viel gelacht und gegessen (all you can eat). Für die beiden geht es heim, ich werde erst einmal - notgedrungen - dem Kungsleden für ein Weilchen weiter folgen.

    Auf dem Boot über den Sitojaure habe ich Markus kennengelernt, ein junger, deutscher Wanderer auf dem Weg zum Nordkapp. Großer, schwerer Rucksack mit Solarpanelen aussen dran. Gemeinsam nehmen wir die Fähre über den See. Da ich diesmal nicht auf dem Gröna Band unterwegs bin, nehme ich mit großer Freude den Anschlussbus. Was für ein Luxus! Bei eher mäßigem Wetter schaffen wir es bis zum Dievssajávri. Das Wetter ist echt mies. Die Hütte am Südufer des Sees ist abgebrannt, sonst hätten wir dort Zuflucht gesucht. Stattdessen lungern wir jetzt unten am Ufer rum, feucht und kalt. Das Semaphore haben wir hochgezogen, aber Hoffnungen auf eine Überfahrt machen wir uns keine. Ans Rudern ist bei dem Wind nicht im Entferntesten zu denken, schon gar nicht nach meinen Erfahrungen auf dem GB. Damals war auch ordentlich Wind und ich hatte das Glück, gleich dreimal rüber zu müssen, weil nur ein Boot auf meiner Seite war. Ein Desaster! Nach knapp einer Stunde Warten schlägt das Wetter plötzlich um, der Wind flaut ab, man sieht vielleicht sogar ein paar Fetzen Sonne. Und schon sehe ich auch den Hüttenwirt am anderen Ufer mit Signalweste in sein Boot steigen. Hurra! Dann also doch noch ab ins Warme heute. Ich hatte nämlich längst beschlossen, hier bei den Hütten zu bleiben und in die Sauna zu gehen, so sich denn wirklich noch die Möglichkeit bieten würde. Den Hüttenwirt freut‘s und mich auch. In der Sauna treffe ich einen recht exzentrischen Österreicher, der mir lang und breit erklärt, was wir beim Saunieren alles verkehrt machen. Er scheint viel Zeit in Finnland zu verbringen und weiss von daher alles besser. Ich lausche amüsiert.

    Der Tag verläuft unspektakulär, wir folgen einfach weiterhin dem Kungsleden. Ein paar Kilometer nach den Kaitumstugorna, dem Tjäktjajåkka folgend, frischt plötzlich der Wind wieder deutlich auf. Ich sehe eine schwarze Regenwand auf mich zurollen. „Bitte nicht wieder nass werden“ denke ich. Ich warte auf Markus, der war deutlich zurückgefallen. Ich schlage ihm vor, mir Richtung Kebnekaise fjällstation zu folgen. Er wandert zwar den Kungsleden, wollte aber auch auf den Kebnekaise, und zwar über dessen Westroute. Mein Plan war die Abkürzung südlich des Unna Jierttáš zu nehmen. Nur war ich mir jetzt angesichts des Wetters nicht mehr so sicher, ob das so eine gute Idee ist. Markus aber meinte „kein Problem“, und zu zweit fand ich das dann auch in Ordnung. Wir schaffen es hoch bis zum Jierttájávri und haben dann genug für den Tag. Wir brauchen eine Weile, bis wir einen Platz finden, der einigermaßen vom Wind geschützt ist, sind dann aber mit dem Ort sehr zufrieden.



    Am nächsten Morgen werden wir von Sonnenschein begrüßt. Als wir Richtung des großen Wanderwegs zur fjällstation abbiegen, bemerke ich eine extrem hohe Zahl von Menschen. „Oh nein, nicht schon wieder!“ denke ich und frage Markus nach dem Datum. Es ist Anfang August, es ist Fjällräven Classic. Und wir mitten drin. Das ist jetzt das zweite Mal, dass mir das passiert. Unten im Tal bewegen wir uns gegen den Strom der Menschen. So gut es geht, vermeiden wir den Trail. Nach gefühlt zehn Tausend „Hej!“ erreichen wir ziemlich genervt die fjällstation. Zum Glück ist es dort relativ ruhig, hier dürfen sie nämlich nicht Halt machen. Wir halten uns am all-you-can-eat lunch buffet schadlos und sagen dann good-bye. Markus wollte noch hoch auf den Kebnekaise, ich will weiter Richtung Tarfalla. Ich wollte die dortige Forschungseinrichtung sehen und die Gletscher von unten bewundern. Schlau wie ich bin, denke ich, ich kürze einfach ab und gehe quer rüber bis zum Bach und folge dem dann weglos bis hoch in die Hocheben, wo ich dann vielleicht zelten kann. Der Darfáljohka ist aber gar nicht mal so klein, wie sich herausstellt. Das Gelände ist steil und gleicht eher einem Canyon. Missmutig latsche ich zurück zur Brücke und folge von dort dem markierten Weg Richtung Norden. Sicher ist sicher. Insgesamt ist der Anstieg deutlich beschwerlicher, als ich mir das gedacht hatte. Und nach Zelten sieht es dort oben auch nicht aus. Das Wetter verschlechtert sich, ein Sturm zieht auf. Ich beschließe weiter bis zur Tarfallastuga zu gehen. Aus der Ferne sieht es aus, als wäre sie zu. Ich bekomme ein mulmiges Gefühl. Dort angekommen, sehe ich, dass ein paar der Fensterläden offen sind. Menschen oder andere Anzeichen von irdischem Leben sehe ich aber keine. Nach kurzem Suchen finde ich aber den stugvärd. Er stellt sich als Anders vor und kommt ebenfalls aus Stockholm. In seinem Zimmer sieht es aus als hätte eine Bombe eingeschlagen, aber er ist wahnsinnig nett. Wir unterhalten uns kurz, viel Zeit hat er aber nicht. Ich soll mir ein Bett suchen, er erklärt mir kurz wie das hier mit der Sauna funktioniert und dann verabschiedet er sich auch schon. Er will seinen Sohn besuchen gehen. Wir würden uns dann später des Abends wiedersehen und dann könnte ich auch bezahlen. Im Hauptgebäude treffe ich zunächst auf niemanden sonst, sehe aber Schuhe und Ausrüstung. Es müssen also schon noch mehr Leute hier sein. Ich such mir ein Bett. Offensichtlich das falsche, denn als dann Leute auftauchen grummeln sie ein wenig rum, sprechen mich aber nicht an, sondern ziehen einfach in ein anderes Zimmer um. Später taucht noch eine weitere Person auf, welche auch weder mit mir, noch mit den anderen beiden redet. Alles scheinen irgendwie Kletterer oder Alpinisten zu sein und scheinbar redet man da nicht miteinander. Mir wird dann noch kurz erklärt, dass ich als erster in die Sauna soll, weil man ja doch gern unter sich bleiben würde. Ok. Der Hüttenwirt ist auch nicht mehr aufgetaucht.

    Als ich am nächsten Morgen beim Frühstück sitze, spaziert er freudestrahlend durch die Tür, nimmt mir Geld für die Übernachtung ab und erklärt mir, dass er gezwungen war, die Nacht draussen zu verbringen „ohne Zelt“, weil es irgendwie zu spät und das Wetter zu schlecht wurde. Hört sich für mich irgendwie recht wild an und ich hab auch immer noch nicht verstanden, wo er eigentlich seinen Sohn besucht hat. Egal. Ich erkläre, dass ich heute weiter ins Kaskasavagge will, aber mir über die Route noch im Unklaren bin. Er rät mir von der nordwestlichen Route ab, weil es da wohl eine Kletterpassage gäbe, die ohne entsprechende Ausrüstung nicht ratsam wäre. Ich mache mich also auf den Weg zurück und drehe dann Richtung Ost-Südost ab. Da ist zwar ein Weg auf der Karte eingezeichnet, den finde ich aber nicht, bzw finde mal hin und wieder was, nur um ihn dann direkt wieder zu verlieren. Insgesamt eine ziemliche Kletterei, ich bin vermutlich ein bisschen zu weit südlich. Oben angekommen erhasche ich einen fantastischen Blick auf den Kebnekaise und die angeschlossenen Gletscher. Bzw halt das was von denen noch übrig ist. Irgendwie auch sehr traurig. Der Wind frischt auf und nach der ganzen Kraxelei wird mir ziemlich schnell verdammt kalt. Ich beschließe einfach die Daunenjacke über die Regenjacke zu ziehen und siehe da, das funktioniert prima. Über großes Geröll geht es weiter, bis aus dem Geröll regelrechte Felsblöcke werden, ich „klettere“ (oder stolpere) auf der östlichen Seite des eigentlichen Darfalglaciär weiter gen Norden. Mühsam, mühsam. Irgendwann schaffe ich es aber doch bis zum Kaskasavagge und der dortigen Schutzhütte. Im Windschatten der Hütte, aber in der Sonne mache ich Mittagspause. Herrlich! Irgendwie war ich mir ziemlich sicher, dass es von hier an viel leichter zu wandern wäre, dass es ab hier wieder einen richtigen Wanderweg Richtung Vistasvagge gäbe. So war es aber nicht, es blieb steinig. Zumindest überwiegend. Ich schaffe es bis zum Visttasjohka, treffe kurz vor der Brücke auf einen seltsamen Typen in neonfarbener Schutzkleidung, den ich nicht verstehe, der aber auch keine Zeit hat für lange Gespräche und Erklärungen und dann einfach weiterläuft. Ich quere und folge dem Trail nordwärts, bis ich einen wunderschönen Zeltplatz an einer Flussschlinge finde. Der erste bin ich hier nicht, davon zeugt ein ganzer Berg verrosteter Dosen, Glasflaschen und Gaskanister. Ich gehe in der Abendsonne baden. Eine Angel wäre jetzt nicht schlecht!

    Am nächsten Tag mache ich erstmal kurz an der Vistas-Hütte halt und sage Hallo. Der Plan für heute ist es, es über den Mårmapass zu schaffen. Die Strecke kenne ich eigentlich, ich bin sie vor ein paar Jahren schon Mal gegangen. Nur in anderer Richtung. Damals von Abisko kommend via Lapporten und dann von der Vistastuga weiter Richtung Nallo. Jetzt eben anders rum. Ich hab noch dunkel in Erinnerung, dass das alles kein Zuckerschlecken war. Ich brauche eine gefühlte Ewigkeit bis ich endlich kurz vorm Pass stehe. Die Felsblöcke hier sind gigantisch groß, die Größe von SUVs oder kleinen Panzern. Man fühlt sich wie eine Ameise. So hatte ich das absolut nicht in Erinnerung. Bin ich hier überhaupt richtig? Nach einer Weile realisiere ich, dass ich damals wohl etwas weiter östlich gegangen bin. Und es hatte sehr viel Nebel. Oben am Pass treffe ich auf ein paar Leute, die mich eindringlich warnen, wie steil doch der Pass wäre. Ich frage mich, was die denken, wozu solche Warnungen gut sein sollen. Wie dem auch sei, diesmal ohne Nebel erhasche ich einen guten Blick auf den Mårma-Gletscher. Dieser ist ja auch Teil einer großangelegten Forschungsstudie, ausgehend von der Tarfalla-Forschungsstation und von daher ein bisschen berühmt. Der Anblick ist erschütternd. Ein paar Stunden später bin ich unten an der Hütte. Die wird gerade renoviert, aber irgendwer hat es geschafft, das neue Fenster schon wieder zu zerbrechen. Im Holzschuppen findet sich statt Holz nur ein großer Berg an Müll. Danke! Hier wollte ich ohnehin nicht bleiben, aber fragen tut man sich schon, wo die Leute so ihr Hirn haben, so sie denn überhaupt eines haben. Ich watschle noch ein paar Kilometer weiter, treffe auf drei Deutsche, die gerade dabei sind, ihr hübsches Tunnelzelt aufzubauen, und irgendwie habe ich - wohl davon inspiriert - nach ein paar Schritten auch plötzlich absolut keine Lust mehr noch weiter zu laufen.

    Vor dem nächsten Tag graut mir etwas, weil ich die Sümpfe noch in recht guter bzw. eher schlechter Erinnerung habe. Tatsächlich aber geht es bis zum Nissonvágge erstaunlich gut. Entlang des Vierrojohka finde ich diesmal eine wirklich gute Route. Kunststück, es wurde auch gerade frisch markiert. Wunderschöne Landschaft. Nach der Brücke über den Aliseatnu geht es kurz bergauf, und dann muss ich eben Richtung Osten und den markierten Weg verlassen. Tatsächlich aber finde ich einen recht gut ausgetrampelten Weg, das bushwhacking hält sich in Grenzen. Vielleicht hat sich aber auch einfach meine Toleranzschwelle verschoben? Am Nissonvágge angekommen, beginnt erstmal das große Grübeln. Damals konnte ich den Bach ohne Umwege direkt queren. Ich realisiere, was für großes Glück ich damals hatte, direkt eine leicht passierbare Stelle zu finden. Diesmal lande ich wohl etwas weiter östlich und stehe erstmal vor einem ordentlichen Canyon. Gehe ich links oder rechts? Ich entscheide mich für letzteres und mache so wohl einen deutlich größeren Umweg als wäre ich anders gegangen. Kurz nach Querung des Flusses stehe ich tief im Sumpf. Kacke! Es geht auch langsam gegen Abend zu. Ans Zelten ist hier aber sicher nicht zu denken. Über ein ordentliches Stück bleibt es erstmal sumpfig. Eigentlich wollte ich nicht oben im U-Tal von Lapporten zelten. Zu exponiert. Aber hier geht es ja nun auch nicht. Also weiter. Ich finde einfach keine trockene Stelle und so stehe ich dann doch irgendwann dort, wo ich eigentlich nicht sein will. Sehr exponiert. Und während es hier im U-Tal zwar endlich flache Stellen gibt, so sind die meisten immer noch nass und sumpfig. Die paar trockenen Flecken, sind genau da, wo es kaum Erde gibt um Heringe verankern zu können. Große Steine sind auch Fehlanzeige. Ich hab kein gutes Gefühl. Ich schlage das Zelt dennoch irgendwo auf, was soll ich auch sonst machen? Um weiter zu gehen bin ich viel zu müde, die Beine tun weh und es wird langsam dunkel. Ich freue mich noch über einen Regenbogen und da höre ich auch schon den ersten Donner. „Das ist doch jetzt nicht wahr, oder?“. Ich mache mich noch mal auf die Suche nach größeren Steinen, finde tatsächlich ein paar aber so recht überzeugend ist das ganze Setup leider immer noch nicht. Ich lege mich schlafen. Nach ein paar Stunden rüttelt der Wind so stark an meinem Zelt, dass mir Angst und Bange wird. Ich zieh mich an, gehe nach draussen und stelle fest, dass die Hälfte meiner Heringe lose ist. Mir ist da schon klar, dass das hier nix mehr wird, aber versuchen kann man es ja mal. Ich suche noch mehr Steine und verankere die Heringe neu. Ich lege mich hin und schlafe nochmal ein bis zwei Stunden.

    Um fünf Uhr morgens ist der Wind dann so stark, dass ich einfach nicht mehr schlafen kann. Ich beschließe es gut sein zu lassen und hier wortwörtlich meine Zelte abzubrechen. Ein gutes Frühstück und Kaffee gab es aber trotzdem noch. Der Weg durch das Hochtal ist maximal unangenehm bei dem Sturm. Die ganze Zeit denke ich, es muss doch hier irgendwo eine windgeschützte Stelle geben, finde aber nichts. Dann denke ich, dass der Wind ja doch schnell nachlassen wird, sobald es bergab Richtung Abisko gehen würde, der Wind kommt ja von hinten. Aber von wegen. Erst als ich tief unterhalb der Baumgrenze bin, wird es endlich ein bisschen besser. In einem kleinen Canyon finde ich Ruhe und kann da mein Mittagspäuschen zelebrieren. Da scheint sogar noch die Sonne und wärmt mich. Nett! Noch ein paar Kilometer durch die Birkenwäldchen und ich bin fast im Ort. Doch genau als ich die ersten Geräusche der Zivilisation höre, fängt es nochmal an zu regnen. „Muss das jetzt sein“, denke ich mir. Kaum setze ich den ersten Fuß auf die Teerstraße verwandelt sich der Regen in einen ausgewachsenen Wolkenbruch. So etwas habe ich hier noch nie erlebt. Und das, wo Abisko als niederschlagärmste Region Schwedens gilt! Es regnet wie aus Kübeln. Ungelogen. Innerhalb von Sekunden bin ich sowas von nass, dass alles zu spät ist. Ich muss direkt lachen, weil es irgendwie so absurd erscheint. Ich watschle wie so eine Badeente bis zum Supermarkt, lege den Rucksack ab und begebe mich auf die Kundentoilette. Hinter mir her ziehe ich eine lange Spur der Verwüstung. Ich fühle mich wie eine Mischung aus einer überdimensionalen Schnecke und Godzilla. Ich ziehe mich am Klo um und hinterlasse totales Chaos. Wasser, überall nur Unmengen an Wasser. Aber was soll ich machen? Ich kaufe Proviant für ein paar Tage und begebe mich zur fjällstation. Dass ich dort keinen Platz finden würde, ist mir schon klar. Es ist die Hölle los. Ich bezahle für den Campingplatz und schlage mein Zelt auf einer noch freien Lichtung auf. Mache Wäsche und gehe in die Sauna. Gut dass ich mich hier auskenne! Als ich zurückkomme, haben sich noch zwei weitere Zelte auf meine Lichtung gequetscht. Wir stehen praktische Zeltwand an Zeltwand. Gegenüber ist ein deutsches Pärchen mit Baby und Hund. Sie gibt die Kommandos und er versucht möglichst keine Fehler bei der Umsetzung zu machen. Das Baby plärrt trotzdem die halbe Nacht. Zum Glück hab ich meine Ohropax dabei. Jedenfalls unterhalte ich mich bei einem Bier noch mit jemand. Ich hab keinen Plan, wie ich hier wegkommen soll. Alle Züge sind ausgebucht. „Warum kaufst du nicht einfach ein Ticket in die andere Richtung. Wenn du eh noch Zeit hast, von Narvik ist es ein Katzensprung auf die Lofoten. Schau dir die doch noch an!“ Und so kam es dann auch.

    7 Mal editiert, zuletzt von PositivDenken (20. Dezember 2024 um 17:26)

  • Vielen Dank für den letzten Teil des Berichts, hat mich abermals abwechselnd zum Grinsen und Kopfschütteln gebracht :)
    Und auch der letzte Teil ist höchst interessant für meine eigene Tourenplanung, da ich jetzt glaub ich weiß, dass ich mir den Streckenabschnitt zwischen Vistasstugan und Mårmastugan wohl nicht allein geben sollte:|

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