Ausoniusweg | Bingen >> Trier | 124 km | 8.-11. 08.24
Wer kein Bock auf lesen hat, kann gucken: YT
bilder füge ich noch ein. Sind zu gross. Viele werdens nicht hab zu viel gefilmt...
[Tag 1]
Eine alte Römerstraße von Bingium nach Augusta Treverorum – 120ish Kilometer von Bingen nach Trier. Benannt nach dem gallo-römischen Dichter Ausoinus, der im 4. Jahrhundert auf seinem Weg an die römischen Peripherie, den Hunsrück, durchquerte. Und so vermarktet es der Hunsrück-Tourismus, ein Stück römischer Dichtung das den Hunsrück besingt. Welcher Trail kann das von sich behaupten, welches Mittelgebirge kann mit 1500 Jahre alter Lyrik aufwarten? Richtig, keine Ahnung. Hört sich aber gut an. Das doofe ist Ausonius verewigt auschließlich in seiner "Mosella" eben jenen Fluss und sehr viel weniger den Hunsrück. Aber Marketing ist eben auch kein altphilologisches Seminar.
Als relativ gerader Strich zwischen Rhein und Mosel für schnelle Truppenverlegung angelegt, geplant nach geostrategischen Gesichtspunkten und, wie viele historische Wege, in die Moderne als immer noch genutzte Verkehrsachse asphaltiert. Also keine Premiumstrecke des deutschen Wanderinstituts, aber mit Reclamheft bildungsbürgerlich aufgewertet und immerhin das Hinterland meiner Kindheit und Jugend. Und auf meiner Bucketlist.
Warum eigentlich frage ich mich? Vielleicht weil es eine diffuse biographische Verbindung gibt, oder es die Terra Incognita an der Peripherie meines Lebens ist? Fakt ist, ich bin an seinen Rändern groß geworden, habe auf ihn geschaut, bin da und dort in ihn hinein- sowie dann und wann durch ihn hindurchgefahren, habe mein Schulpraktikum in einer Hunsrücker Kleinstadt und habe Arschbomben in einem Hunsrücker Spaßbad geübt. Zugleich ist dieser Hunsrück mir eigentümlich fremd geblieben. Habe mich nie wirklich in ihn hineingewagt. Er hat es nicht geschafft zur Naherholung oder zu einem Fluchtpunkt zu werden. Dabei liegt er quasi vor der Haustür, ist historisch durchaus interessant, landschaftlich nicht minder aufregend als der Hintertaunus und lukullisch genau so offenbarend wie jedes deutsche Mittelgebirge. Also genügend exotisch um zumindest mal die Reise anzutreten. Das tue ich nun. Zum dritten Mal versuche ich mich an einer Hunsrückdurchquerung.
*
Die DB bastelt bei 1.08 h Fahrzeit, 1h Verspätung. Obgleich Bahn-Bashing so beliebt ist, und sie an einem Tag wie diesem wieder allen Grund dazu liefert, übe ich mich in Gleichgültigkeit. Einatmen. Ausatmen.
Angekommen. 15.30h. Nochmal in meinen Magen horchen, der grummelte schonmal prophylaktisch Hikerhunger, also in der Bäckerei noch irgendwas Süßes, das mir auf dem Weg zu Burg Klopp Finger und Schnute verklebt; und etwas Salziges für ein Später.
Auf der Burg finde ich keinen Trailhead. Lasse stattdessen von der Aussichtsplattform den Blick gen Binger Wald schweifen, zersiedelt kriecht Bingerbrück die Hänge gen Hunsrück hoch, der wuchtige Waschbetonklotz des ehemaligen Karstadt im Häusermeer, Blickfang vor dem Binger Loch. Die Nahe wie sie noch final von zwei Brücken gequert in den Rhein mündet. Der Taunus leistet hier schon ganze Arbeit und zwängt, den mächtigen Inselrhein in sein enges Bett, erst nach der Nahe schiebt der Hunsrück nach und bildet damit eine der schönsten Kulturlandschaften der Republik. Das Mittelrheintal. Schwelgen. Schweigen. Kameraeinstellung suchen.
Statt eines fotoalbumkompartiblen Trailheads, ein grüner „AU“-Sticker neben Parkscheinautomat und Stadtplan. Parkplatz Burg Klopp. Unprätentiös. Dann geht es hier los. Einmal umdrehen. Tief durchatmen. Erinnerungen wallen kurz auf. Im Hof der Burg Klopp habe im Freilichtkino Terminator 3 geguckt und mit dem halben AJZ zu ihren Füssen bei dem legendären Eläkeläiset-Konzert auf dem Winzerfest Pogo getanzt. Hach, Erinnerungen einer Jugend in der Kleinstadt. Schild abklatschen los gehts. 124 bis nach Trier.
Ich laufe an meiner alten Schule vorbei, an meiner ersten WG. Schüli-WG. 1999. 2.OG in der Eisel. Ich laufe an der Wohnung vorbei in der meine Tochter ihre ersten Schritte gemacht hat. 2003. Ich bin kaum los und schon bin ich durch Wegmarken meines Lebens gelaufen. Ich schüttel‘ ungläubig und amüsiert den Kopf. Runter an die Nahe und Richtung Drususbrücke. Ein 1000 Jahre alter Trumm von Steinbrücke.
Singletrail und erste Höhenmeter gen Weiler, vorwiegend Roadwalks und ein bisschen Forstpiste bis zur Lauschhütte. Die Sonne steht nachmittagstief und bescheint alles gülden, das macht es versöhnlicher. Und irgendwie ist es auch egal, „Immerhin bin ich rausgegangen“ summe ich in Anlehnung an Babsi Tollwut.
Schlagschatten der Windräder rotieren im Geäst, der Wind wühlt die Blätter auf, Gegenlichtflimmern und der Forstpistenschotter knirscht unter meinen Sohlen.
Die letzten „Happy Trails“-Wünsche sliden in meine DMs und ich erinnere mich warum ich dieses Wandern auch mache – connected sein. Alleine im Wald und trotzdem verbunden. Was kitschig klingt ist die Metapher einer verlassen Kindheit auf dem Dorf, die zwischen Einsamkeit und Autonomie chargierte. Bin ich hier draußen weil ich kann und darf oder weil ich muss? Wahrscheinlich beides.
Ich passiere die Lauschhütte. Meine Eltern sind hier immer hin spaziert, ich hatte keinen Bock damals. Heute laufe ich regelmäßiger vorbei, denke jedes mal genau daran: ich hatte damals keinen Bock auf Lauschhütte! Warum eigentlich nicht? Ich bin alleine oder mit meiner besten Freundin stundenlang durch die Wälder gestriffen, aber das Versprechen einer Bratwurst und eines Spaziergangs mit den Eltern mobilisierte mich nicht, klar Eltern sind ja auch als Kind manchmal irgendwie suspekt, als Teenie erst Recht. Dennoch ist die Lauschhütte zu einem Synonym kindlichen Verlassen seins geworden – vielleicht weil es weniger schmerzhaft ist Trennung, Alkoholismus und Suizid… So blieb ich alleine und meine Eltern wanderten mit Hund zu Lauschütte. Immer gut wenn man nicht gezwungen wird, doof wenn ernstgenommen werden danach alleine sein heißt. Wollte ich was anderes? Ich weiß es nicht. Die Lauschhütte ist ein psychogeographischer Reminder an eine ambivalente Kindheit und Jugend. So sind Landschaften immer auch subjektiv mit einer anderen Kartierung überlagert. Die Sonne steht noch etwas tiefer, ich lasse romantische Verklärungen in mir aufwallen. Es leuchtet so schön.
Der Soonwaldsteig bis zum Ohligsberg. Die Fauna wuchert den Blick auf das Dorf meiner Kindheit zu, ich nehme es amüsiert zur Kenntnis, schwelge kurz in küchentischpsychologischer Deutung des Wahrgenommen und packe mein Essen aus. Ich habe meinen Kühlschrank leergeräumt und den Inhalt mit auf den Trail getragen. Gurke, Salat, Tomate, Aufstrich, Pumpernickel. Es fühlt sich an wie Sterneküche, im Brustton schwärme ich in die Kamera. Food-Footage. No Cook Outdoor Cuisine. Als Apero erstmal in den diesigen Hintertaunus geschaut, sein schieferschroffer Absturz ins Mittelrheintal eine sanfte Vertiefung in der Landschaft. Ich folge der angedeuteten Linien des Flusses den Hunsrück entlang bis er bei Koblenz auch im blauen Dunst des Abends verschwindet. Hach wie schön. Lecker. Ich krümel den Tisch voll.
Im goldenen Abendlicht wander‘ ich hinab gen Dichtelbach. Die Hochebene kühl, das Blau der Nacht wabert langsam in das letzte Licht des Tages. Weiter nach Rheinböllen und die Waldsiedlung, hier gibt’s trailmagisch Bier und Bett. So slidete es in Weiler u.a. in meine DMs. Na gerne doch. Menschen aus dem Digitalen analog kennenlernen verschiebt den Akzent von Social Media wieder auf das social. Jetzt wird es nur so langsam spät. Bis 22Uhr kann ich da einlaufen hieß es. 21ish Uhr und noch 4km oder so. Geht.
Der Himmel schiebt sich über Dichtelbacher Feldern zusammen und leuchtet rot und lila: „Bluterguss“ hatte Thorsten Nagelschmitt das in seinem Roman „Arbeit“ genannt, ich schmunzel‘, weil ich mich seit ich die Umschreibung gelesen habe, darauf freute sie zu verwenden. Hier am Ortsausgang von Dichtelbach ist es soweit, ein blutergussfarbener Himmel über den Feldern. Stimmen wabern vom nahen Fußballplatz, Flutlicht fliest weiß in den Himmel. Take run at the sun. Und ich strahle vor Glück.
Am Freizeitbad Rheinböllen verweile ich kurz und schwelge mit meinem inneren Kind in Erinnerungen: mit aufgeweichten Chlorfingern Rancher-Taco-Chips aus kleinen Tüten fingern, Pizzabaguette am Tresen essen und sich den Gaumen am Käse verbrennen, Tauchen durch die Sprudelfontäne und im Hotwirlpool mit den Wasserdüsen im Kreis schwimmen. heimlich vom Beckenrand springen...
Mit dem wirklich letzten Licht laufe ich in der Waldsiedlung ein. Bekomme ein Bier und Rhabarbersirupschorle, einen nicen Schnack über Landleben, Antifaschismus, Haussanierung und Wildcampen. Ich rolle meine Matte auf der Terrasse aus. 25ish Kilometer heute...
[Tag 2]
Ein bedeckter Morgen dämpft die Stimmung. Ich trete aus dem dumpfen morgendlichen Wald. Sepia liegt auf der Landschaft. Flächiges Grau diffundiert in die Felder, die Ferne verschwindet. Grastrails laufen nass in meine Schuhe, Morgentau.
Grasige Wirtschaftswege wechseln sich mit Roadwalks ab. Auf einer Forstpiste folgt mir die Polizei, steigt aus, schlägt sich in die Büsche, kommt wieder raus. Sie suchen einen entlaufenen Hund. Der ist mir just in dem Moment begegnet, in dem die beiden im Gebüsch waren. Ich rufe „Suchen Sie einen Hund?“
„Ja“ sagt die Beamtin und klopft sich den Wald von der Hose.
„Der ist da drüben quer, in die andere Richtung gelaufen“
„Ah ja, danke“
Die beiden steigen in ihr Auto und fahren weiter. So banal, so Vorabend-Landkrimi des ZDF denke ich mir belustigt und staatstragend. Ich laufe weiter. Die Windräder rühren im flächigen Himmel. Der Forst ist da und dort eine dürrezerfressene Plantage. Wirklich spannend ist es nicht, also träume ich mich zu Espresso und irgendeinem süßen Frühstück in Simmern. Noch zehnish Kilometer. Gefällige Forstpisten, zottelige Kühe auf der Weide, ein bisschen Zersiedlung und fernes Verkehrsrauschen kündigen Simmern an. Das erste Sonnenlicht des Tages bricht durch das Grau. Stimmungsaufheller, auch ohne Koffein.
Pittoresk empfängt mich die Simmerner Altstadt. Espresso im erstbesten Cafe. 2.80 finde ich selbst als Frankfurter beachtlich, die Crema ist blass und hat sich schon auf dem Weg zum Tisch aufgelöst, etwas wässrig sagt der Caffe-Connaisseur. Mit der Kraft der Imagination und viel Zucker trinkbar. Ich habe mich auf den Espresso gefreut, das lasse ich mir von schlechter Qualität nicht vermiesen – so lächele ich gen Sonne, trinke meinen letzten Schluck Zucker mit Kaffeearoma und studiere die Erker und Klinkerfassade der Apotheke gegenüber. Die Auslage der Bäckerei lacht mich süß an. Rosinenschnecke fürs rauslaufen.
Mehr das mentale, denn das leibliche Wohl stand in Simmern auf der Agenda. Resupply erst in Kirchberg, 13 Kilometer weiter. Es fällt mir immer wieder auf das Orte on Trail ihre Bedeutung nur durch ihre Einkaufsmöglichkeiten gewinnen. Ich vergesse ihre Namen, weiß aber alle relevanten Einkaufsmöglichkeiten. So auch hier. Den Ortsnamen schlage ich für den Text nochmal nach, Norma, Aldi, Lidl erinnere ich direkt. Ich wäre geneigt mich zu der These zu versteigen, das Trails zu einem Transitionsraum zwischen Resupplymöglichkeiten verkommen, in der es nur noch um die Überbrückung der Distanz geht, weil das Essen irgendwann im Vordergrund steht – ich glaube eine Amazon-Rezi von Thürmers „Laufen-Essen-Schlafen“ hat genau das mal kritisiert, das es irgendwann nur noch um Essen geht. An Landschaft kann man sich eben im wahrsten Sinne des Wortes nicht satt sehen. Ich gebe mich ob der äußeren Reizarmut des Trails oppulenten Supermarkt-Feasts hin, bestücke mein Hikertrash-All-You-Can-Eat-Büffett dekadent und lassen meinen Einkaufszettel von Gelüsten und Hikerhunger schreiben.
Die schattenlosen Höhen, ein landschaftliches Wogen aus Feld, Acker, Wiese, Wald. Gedotted von Ortschaften. Ohlweiler, Schönborn, Rödern. Windrauschen in den Baumwipfeln. Kühlung auf der Haut. Es ist heiß heute. Die Ernte wird eingefahren. Gelbe Staubwolken ziehen über goldene Felder in der Ferne. Dröhnen in der Nähe. Kratzen im Hals.
In Kirchberg bastel‘ ich mir ein no-cook feast. Mixe Arrabiata Paste aus dem Glas mit Soja-Hack und mache mir daraus ein Sandwich mit Gurke, Tomaten und roter Zwiebel – sowie Fettflecken auf der Shorts. Ein lukullisches Fest. Noch’n bisschen Obst und ein Kefir. Diszipliniert habe ich für den einen Tag nur noch ein Asia-Nudelsnack Chickenflavor geholt, coldsoaked in der eigenen Tüte mit Gurkenstücken stelle ich mir ganz lecker vor. Ein paar Trailsnacks noch, das wird alles schon reichen.
Kirchberg hat ein pittoreskes Fachwerkaltstädtchen, da ein Erker, dort eine schiefe Fassade, hier ein spitzer Giebel, dort eine Holzschnitzerei. Auf dem Platz ist Markt, der Ort ist unterwegs, klönt vor und neben den Ständen, isst riesige Eisbecher in der Eisdiele. Inspo. Ich auch. So ähnlich zumindest. Ich bestelle einen Espresso, lade PB und Handy. Auch kein guter Espresso. Schade. Dabei sind Eisdielen immer auch ne save Bank. Hier nicht. Für den Weg organisiere ich mir noch zwei Kugeln in der Waffel und laufe langgezogen auf der Landstraße aus Kirchberg hinaus.
Nun folgt ein Abschnitt des Ausoniusweg der auf der Karte ziemlich beindruckend aussieht, eine fast durchgängige gerade Linie von 10,12 Kilometern. Forstpiste. Eine lange gerade Forstpiste. Kontemplatives Wandern durch Wirtschaftswald. Ich komme bei Niedersohren an der Nachbildung des Römerturms vorbei, an dem ich den SHS ein paar Tage zuvor abbrechen musste. Die Sonne scheint, der Wind rauscht in den Bäumen, die Aussicht ist eben bekannter Landschaftsmix Wald, Acker, Wiese, Feld, Dörfer eingestreut und das ganze hügelig Wogend in grün- und brautönen sowie goldenem Weizen. Schön um nach ca. 30km Pause zu machen. Sitzbänke gibt es auch. Noch schöner.
Neben mir kommt Stefan auf seinem Fahrrad zum stehen, seine Boombox dröhnt 80er Jahre Rock. „Gude. Schön hier ne? Willste in Bier?“
Joah, öhm nee.
„Nein Danke“
Er kommt aus dem Hunsrück. Ist schön hier. Den Ausoniusweg ist er schonmal mit dem Fahrrad lang. Wir scherzen, das das mit dem SHS und dem Fahrrad sich in der Baybachklamm wohl eher schwierig gestaltet.
„Ich komme aus Frankfurt“ antworte ich auf die Frage wo ich denn herkomme.
„Ah, da sind ja auch, wie soll ich sagen, viele Abartigkeiten“
Ja stimmt. Zu hohe Mieten, zu wenig bezahlbaren Wohnraum, Gentrizifizierung, hohe Lebenshaltungskosten… To name a few. Das meint Stefan aber nicht.
Er hat sich seit Corona mal in diesem Internet kundig getan und das ist schon „abartig was hier so alles passiert“. KenJebsen, RT, ServusTV sind seine Referenzen. Ich mache hier den Fehler sitzen zu bleiben. Und dann legt er los: Corona ist eine Erfindung, Hitler wurde vom englischen Deepstate finanziert; wir befinden uns aktuell im Dritten Weltkrieg; Aids ist genau so erfunden, wie eigentlich alle Krankheiten; er erklärt mir das wir in einer Diktatur leben und in einer GmbH… Und noch viel mehr- ein buntes verschwörungsideologisches Medley. Angereichert mit den Klassikern aus Antisemitimus, Queerfeindlichkeit, Rassimus, teutonischer Hyperviktimisierung und obligatorischen Ampelhass. Soweit so langweilig, weil weder neu, noch innovativ noch spannend erzählt. Bis auf den Finanzierung des NS durch den „englischen Deepstate“ kenne ich schon alles. Ist immerhin als freiberuflicher Diversity-Trainer auch mein Job, auf der Höhe der Zeit menschenfeindlicher Erzählungen zu bleiben. Hohlerde, Neuschwabenland und Nazis auf dem Mond wurden mir erspart. Schade eigentlich, die find ich tatsächlich unterhaltsam. Nicht minder verstörend und gefährlich, aber seit „Kung Fury“ und „Iron Sky“ haben diese Erzählungen durch die popkulturelle Persiflage ihren Gefährlichkeit etwas eingebüßt. Aber warum mache ich das hier, frage ich mich. Warum höre ich ihm zu, warum diskutiere ich mit ihm? Weil ich so vermessen bin überzeugender zu sein? Das ist ein Fehler.
Warum habe ich nicht psychologisiert, frage ich mich im Nachhinein? „Ja, Stefan, die Welt ist wirklich sehr kompliziert und krisenhaft geworden, ich verstehe das dir das Angst macht, dich verunsichert und du nach Halt und Erklärung suchst…“ – hätte das was gebracht? Ich bin ja auf einem Hike und nicht in einem Seminar, wo ich Verantwortung auch für die Gruppe habe. Ich muss ihn nicht retten. So beende ich das ‚Gespräch‘ mit „Wir leben auf unterschiedlichen Planeten, wir sprechen zwar miteinander, aber aneinander vorbei, weil wir unterschiedliche Sprachen sprechen und unterschiedliche Wahrheiten haben“ – und mache damit einen weiteren Fehler, ich adel‘ seine abstrusen Verschwörungserzählungen zu einer Wahrheit. Ich verabschiede mich und reiche ihm die Hand und sage „Ich heiße übrigens Fabian. Danke für das Gespräch, das war sehr lehrreich, nicht so wie Du meinst, aber ich nehme hieraus was mit. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag“ – Ich habe von Carolin Emcke und im Deeskalationstraining gelernt, Menschen die hassen, die möglichweise mich hassen könnten, ein Gegenüber anzubieten. Wenn man jemanden kennt ist es schwerer zu hassen. Stefan, wird vielleicht immer mal an seine politischen Gegner denken und ihnen menschenverachtendes Wünschen – nur dieses eine „Schlafschaf“ wird ihn vielleicht piesacken, der war nämlich ganz nett und er hat einen Namen. Fabian.
Dennoch ärgere ich mich über die vertane Zeit. Es war meine Pause, die ich mit sowas verplempert habe. Die Reflexion beschäftigt mich so nachhaltig dass ich mich am nächsten Tag und Tags darauf, just dann verlaufen werde, wenn ich das alles nochmal durchgehe. Heute aber nicht mehr...
Ich folge der lang gezogenen Schnur des Trails. Felder, Wälder, Äcker und mal wieder ein Mähdrescher der dröhnend staubig den Weizen einholt. Bei Horbruch mache ich an einer Hütte rast, horche ich in mich hinein… Fast 40k. Ich merk’s. Ich habe kaum noch Wasser und etwas Durst. Auf der Karte sieht es nicht so aus als ob noch was kommen würde, außer der Umweg nach Horbruch rein und den Friedhof suchen. Gibt’s da überhaupt einen? Ein Jäger kommt in seinem Auto angerumpelt „Entschuldigen, Sie wollen sie die Nacht hier verbringen?“ ich gucke betont unschuldig, ich habe es eh nicht vor.
„Weil wenn ja, dann gehe ich auf einen anderen Hochstand“. Er deutet in eine unbestimmte Richtung oder auf den er sich setzen möchte.
„Nö, hatte ich nicht vor. Aber sie können mir vielleicht helfen. Wissen sie ob es Horbruch einen Friedhof gibt“
Er guckt irritiert
„Ich habe kein Wasser“
Als sei es das natürlichste der Welt „Ja, klar gibt es einen. Das Wasser da ist auch, wie alle Tiefenbrunnen, voll in Ordnung. Gut trinkbar. „
„Kool, können Sie mir auch sagen wo der ist?“
„Ojee, das muss ich passen“ lächelt und zuckt mit den Schultern.
„Hätte ja sein können. Weidmanns Heil sag ich ma‘ und schönen Abend“
„Ja, danke. Viel Erfolg und guten Weg noch“
Ich beobachte ihn noch wie er parkt, mit Knarre und seinem Gerödel Richtung Hochstand stapft. Ich lasse derweil die Beine baumeln und schaue mir Karte und Uhr an. Lang ists nicht mehr hell. Lange laufen habe ich auch keine Lust mehr, Wasser brauch ich noch und einen Pennspot. Zu viel Felder, erst hinter Hochscheid wieder Wald. Pfff, entweicht es mir. Also los.
Dörfer am Abend können ausgestorben wirken, so auch Horbruch. Eine leise Hoffnung hatte ich ja, dass ich Menschen treffe, die Vorabend in ihren Gärten machen, oder in ihren Garagen am heimwerken sind. Mitnichten. Niemand da. Ich irre durch den Ort, treffe eine Frau spreche sie an.
„Am anderen Ende des Ortes?“
„Ja“ sie zuckt fast entschuldigend die Schulter.
Sie erklärt mir den Weg und ergebe mich meinem Schicksal. Laufe jedoch eher zufällig am örtlichen Gasthof vorbei. Geschäftiger Lärm und Geschirrgeklapper.
Jackpot.
Ich muss nicht den Gastraum betreten, es gibt eine Seitentür zum Tresen. Eine junge Frau kommt auf mich zu. Ich halte ihr freudestrahlend meine Bladder und meine Wasserflasche entgegen.
„Wenn sie mir sagen wo ihre Trinkgeldkasse ist, schmeiße ich da was rein und sie machen mir das hier voll“
Sie schaut kurz verwirrt.
„Ich brauche was zu trinken, und…“
„Jaja“ sie lächelt unsicher, dreht sich schnell um „Machen sie das lieber unten im Klo, die Chefin sieht das nicht so gerne,“ Sie zwinkert mir verschwörerisch zu, „aber da unten merkt sie das nicht“ dann kichert sie.
Ich kichere mit, zwinkere unwillkürlich auch und schleiche mich aufs Klo – die „refill-conspiracy“. Nur konsequent, dass ich mich auch wieder rausschleiche...
Hinter Hohenscheid habe ich den Marathon voll. Der Lützelsoon leuchtet rötlich in der Abendsonne, schwefelgelbe Wolken, schwarze Fichten im orangenen Himmel. Ich finde eine moosige Kuhle in einem Fichtenwald. Die säulenartige Stämme knarzen, wogende Nadelwipfel im Wind dämmern in das Schwarz der Nacht. Ich habe noch ein Bier in einer Pilgerbox gegen Spende mitgenommen, baue auf – cowboy-camp -, dehne mich, trinke lauwarmes Koblenzer und schaue in die Wipfel.
[Tag 3]
Um 7ish laufe ich los. Klebrigkühler Morgen einer lauen Nacht. Ich stakse über Wiesentrails und versuche die Füsse trocken zu halten – warum auch immer. Wie gestern ist Hitzwarnung für Rheinland-Pfalz ausgegeben. Ich geniesze ein leichtes Frösteln.
Im Archäologiepark Belginum gucke ich mir Grabungshügel und Informationstafeln an. Irgendwie finde ich den angelegten römischen Kräutergarten spannender, probiere mich durch allerlei und entscheide mich für den etwas verblühten Koriander. Pimp fürs Abendessen. Also stecke ich mir welchen zur Brusttaschenfermentation in mein Hemd.
Auf der Hunsrückhöhenstrasse rollt es geschäftig Hin und Her, ich betrachte die Landschaft, die hier in ein Becken abfällt und den Blick bis Richtung Mosel eröffnet, zumindest sagt das die Infotafel. Dunstig wellt sich die Landschaft gleichförmig vor mir und löst sich diesig im Blau des Himmels auf. Der Horizont eine Ahnung in der Eifel.
Um 10ish habe ich nicht mehr so viel Bock zu laufen. 5 Kilometer vor Haag mache ich eine ausführliche Frühstückspause. Die ersten 14ish k sind gelaufen. Eher zufällig bemerke ich dass sich der Trail hier gabelt. Noch 43k bis Trier. Huch. Das ist ja. Morgen früh schon. Also dehne ich die Pause etwas noch aus, spinne Pläne mit Blick auf die Karte und denke mir… „Einfach weiterlaufen, der Rest ergibt sich von ganz alleine“. Also laufe ich weiter.
In Hof hat das Backes aufgefahren. Alles voller Brot, die Bierzelte stehen bereit und die aufbauenden bekommen schon das erste Gezapfte hingestellt. Welches Fest gefeiert wird, erschließt sich mir nicht, herausfinden will ich es auch nicht. Ich überquere die Dhron, von deren Fischreichtum Ausonius in ganzen Versen schwärmt, via einer pittoresken Steinbrücke, verirre mich in den Ortskern. Nichts besonderes…. Wie so vieles auf dem Ausoniusweg.
Der Trail ist und bleibt keine Offenbarung. Viele Passagen führen über Kreisstraßen, oder asphaltierte Wirtschaftswege – auf der einen Seite können die Gedanken ihren eigenen Roadmovie auf dem Asphlatzelloloid skripten [es ist kein nennenswerter Verkehr], monoton bleibt es dann auch trotzdem. Ich lasse den Blick in die wogende Kulturlandschaft schweifen: Felder, Äcker, Wälder. Wenn nicht Roadwalk, dann Gravelroads durch eben jenes landschaftliche Arrangement. Mir fehlt die Muße mich mit der sozial-kulturellen Leistung des menschgemachten Naturraums nachhaltig zu connecten, dann und wann in romatischen Aufwallungen geben ich mich der Ästhetik der Landmark in der gleissenden Mittagssonne hin – und denke mit beidem hat Tucholsky recht, ich muss nicht vor jeder Ecke niederknien und ach, wie schön lügen, und zugleich bleibt ein eigentümlicher Reiz, den eben dieses Landschaftsmosaik ausstrahlt.
Ich verlaufe mich ein paar mal, weil der Weg dann doch dröge ist bzw. richtiger: ich bin dröge, habe mich unachtsame Parallelwelten gebeamed, oder ärger mich über mich und das Gespräch mit Stefan gestern, den Rest hat die Hitze weichgekocht – die Konzentration schwächelt.
Bei Naurath überquere ich die Autobahn und habe ein Tagesziel damit erreicht. Irgendwo hier hinter dieser Linie möchte ich mich auf die Suche nach einem Pennplatz machen. So die Idee. Noch runter in dieses eine Tal. Feller Bach, weil da gibt’s Wasser. Ich hab keins mehr. Drei Bachläufe die in den Feller Bach münden. Ich finde save Wasser da unten. Guter Plan.
Mit der Fixierung auf die Wasserorga rückt der Pennplatz in den Hintergrund. Ich missachte die Höhenlinien. Okay, dann eben in der Talsohle. Wird eben klamm und kühler die Nacht. Oha, das sind ja alles Kleingärten und Wiesengrundstück. Aha, es ist Wochenende, auf jedem dritten dieser Grundstücke sind viele Menschen mit Grills, Zelten, Biertischgarnituren und schlechter Musik (weder Schlager, noch Bierzelttechno, noch Onkelz finde ich gut). Ich habe zwar jetzt Wasser aber keinen Pennspot. Also suche ich mir Zugang zum Bach, stelle meine Füße rein und esse. Coldsoaked Chicken-YumYum mit Gurkenwürfel ist wirklich lecker, nur den Koriander vergesse ich. Schmeckt mittlerweile wahrscheinlich eh nach mir. Ich sondiere: habe einen weiteren Marathon in den Beinen und müsste noch durch Fell durch und dann, diesmal die Höhenmeter mitgelesen, noch mindesten zweiish Kilometer aus Fell raus, also nochmal fünfish auf die 42, 43 drauf. Nein. Also laufe ich rum und suche nach Spots wo ich mich betten könnte. Und finde nichts. Es wird dunkel, was es nicht besser macht. Doch. Nachts sind alle Katzen grau oder alle shelter stealth. Ich lege mich auf ein Grundstück das jemand zum Holzscheite spalten und stapeln nutzt. Nicht schön und sicherlich nicht erlaubt. Ich lege mir etwaige Ausreden zurecht und weiß das mein schlechtes Gewissen mich früh wecken wird, so wird’s eh niemand merken. So rede ich mir das schön. Trail- und Outdoorromantisch ist das nicht. Ich bin müde.
[Tag 4]
Eine spanische Wegschnecke auf meinem Kopfkissen und mein zurechtgelegtes Gewissen wecken mich in der Dämmerung. Packe zusammen. Laufe los.. 13ish km noch bis Trier.
„Wollen sie in die Kirche?“ ruft mit eine Frau zu. Ihre grauen Locken wippen mit ihren Schlappen im Takt als sie die Straße runterkommt.
„Ähm, nein. Eigentlich nicht.“
„Suchen sie den Weg nach Trier?“
„Auch dass nicht, ich habe gerade überlegt ein Foto von der Kirche zu machen. “
Wir lachen beide.
„Wollnse trotzdem mit rein, ich muss eh aufschließen. Eigentlich macht das ja der Zahnarzt, aber der ist im Urlaub. Also mache ich das jetzt. Wir kämpfen um den Erhalt der Kirche.“
Ich nicke verständig. Und bekomme von ihr noch weiteres aus Interior der Kirche und dem Innenleben der Gemeinde erzählt. Die Fenster sind nicht aus Glas, sondern aus bemalter Haut. Mich. Schauderts. „Ja, gegerbtes und ganz dünngeschabtes Leder. Wir wussten das auch nicht, bis wir im Rahmen von Sanierungsarbeiten einen Glaser kommen ließen, wegen der Fenster, und der nur sagte da könne er nix machen.“ Sie fühlt sich bemüßigt noch hinterher zuschieben „Weil es ist ja kein Glas“
Ich trete an eines der Fenster. Es wirkt pastös mit kleinen markanten, porig wirkenden, Einschlüssen. Satte Farben, die prall und zugleich eigentümlich dumpf in der Morgensonne leuchten. Unwillkürlich will ich das Fenster anfassen „Darf ich?“
„Nur zu“
Ich schubse eine Zitterspinne aus ihrem Netz. Die Oberfläche des Fensters ist glatt, aber nicht gläsern glatt, aber auch nicht ledrig. Taktil nicht einzuordnen. Es fühlt sich wärmer und weicher an, wohlweislich dass das nur eine unzureichende Umschreibung ist. Faszinierend.
Sie zeigt mir noch die Pilger*innenverpflegung und Bibeln in vielen Sprachen.
„Für die ganzen Camino-Gänger*innen? Kommen hier eigentlich viele vorbei?“
Sie schaut mich mit großen Augen an „Hier ist doch kein Pilgerweg, der geht doch…“ sie faltet vor ihrem inneren Auge eine Landkarte auf.
„Doch, doch. Kommen sie mal mit“ wir treten vor sie Tür und ich zeige auf das Fallrohr am Haus gegenüber. Frisch ausgeflaggt, die markante gelbe Muschel auf blauem Grund. Sie lacht laut auf. „Das wusste ich gar nicht, sind sie dann…“
„Nein, ich bin kein Pilger. Ich lauf den Ausoniusweg.“
Wir unterhalten uns noch ein wenig über den Weg und die Pilgerstrecke zwischen Mainz und Trier, dann trennen sich unsere Wege.
Ein Foto habe ich gar nicht gemacht.
Nach Fell bushwacke ich noch durch einen krautigen verwilderten alten Forstweg, den Wildschwein mehr umgegraben haben, als das er begangen wird. Dann sind noch 7ish shabby Roadwalk Kilometer durch Industriegebiet und Suburbia zu absolvieren. Ein bezeichnendes Ende des Trails, der auch wirklich nicht enden will. Es zieht sich.
Sinnbildlich erreiche ich den Endpunkt des Hikes: roadwalks. Und warte final an einem Ampelüberweg auf Grün um zu meinem Trailhead zu kommen. Die Porta Nigra.
Die Touristen sind schon da und bespielen eifrig den Vorplatz. Ein 2000 Jahre alter Trailhead, und ein Unesco-Welterbe – das kann immerhin keiner der großen Trails…
124 Kilometer, ein halber Tag, zwei ganze und ein bisschen vierter Tag. Done it.
Ich suche mir einen Espresso….