Als Erinnerung an die Tage, als die Indoor-Hiking-Anlage nicht militärisch genutzt wurde, genaugenommen 2016, habe ich einen kleinen Reisebericht geschrieben hierher kopiert. Ich habe noch losen Kontakt und sogar während des Kriegs Besuch bekommen.
Ich bin mit einem Freund für eine Woche in Odessa gewesen, davon haben wir fünf Tage auf dem mindestens 2.500km langen Indoor-Hiking-Wegenetz ehemaliger Steinbrüche verbracht. Da diese Form des Wanderns hier recht unbekannt sein dürfte, möchte ich sie euch zuerst einmal etwas näher bringen.
10 Vorteile des Indoor-Hikings:
- Sehr vielseitige Umgebung: Wo haben sich sonst auf einem Wanderpfad tausende Künstler (Minenarbeiter, Maler/Zeichner und der größte Künstler, der Verfall) über hunderte Jahre austoben dürfen? Dazu haben Partisanen, Schmuggler, Pilzzüchter, Drogennutzer etc. ihre Umgebung nach ihren Wünschen geformt.
- Ungewöhnlich, anspruchsvoll: Jakobsweg kann jeder
- Gleichmäßige Temperaturen: Packliste optimal auf die Temperatur abstimmbar
- Ganzkörpertraining: eingebaute Kletter- und Kriechpassagen ergänzen das Wandern
- Lichtverhältnisse nach Wunsch: kein Sonnenbrand, keine nervige Sonnencreme, Dunkelheit zum Schlafen auf Knopfdruck
- Immer gutes Wetter: kein Zelt, keine Regenkleidung, kein Glatteis
- Absolute Freiheit: keine Gesetze, z.B. Übernachten ohne Strafe überall möglich
- Nur ungefährliche Tiere: keine Zecken, Stechmücken, Bären, nur einige Ratten und Füchse, die man aber nur in absoluten Ausnahmefällen zu Gesicht bekommt
- Sehr abgeschieden: (fast) keine störenden anderen Touris, Ruhe vor ständigen Handynachrichten
- Stadtnähe: gute Verkehrsanbindung, ideal für Tagestouren mit oberirdischer Übernachtung, Verpflegungseinkauf unkompliziert
Ausrüstung:
Aufgrund des vielen Felskontaktes waren wir mit alter, robuster Alltagskleidung unterwegs, als Schlafsack diente bei mir des Staubs/Drecks wegen ein alter Synthetik-Sommerschlafsack, der direkt danach in die Wäsche gehen konnte. Unser Führer trug elegante Lederschuhen, mein Freund und ich zogen klassische Wanderschuhe vor, da einige oberirdischen Bewohner Ihr Abwasser mit einem Rohr in die Unterwelt schicken und man ab und zu an einem speziellen Sumpfgebiet vorbei muss und wir kein Fäkalwasser/-schlamm an unseren Füßen haben wollten. Dazu Ersatztaschenlampe und Akkus am Körper. Wasser, Nahrung und Erste-Hilfe-Set trugen wir in einem kleinen Rucksack, wobei wir uns teils zu viert einen Rucksack teilten.
Die Tour
Wir schliefen bis auf eine Nacht im Untergrund immer im Pfadfinderheim unserer Bekannten Raisa in Odessa, die auch unseren Führer Gnom (Untergrund-Spitzname) vermittelt hatte. Raisa kam an allen fünf Tagen mit. Sie ist sozial sehr engagiert und brachte am ersten Tag einige Kinder und am zweiten Tag einen Vater mit seinen Kindern mit. Mit dem Bus ging es in die Vororte zu den Eingängen, denn im Zentrum sind erstens die meisten Eingänge verschlossen/auf Privatgelände, zweitens sind die Systeme (nicht alle sind miteinander verbunden) kleiner und drittens steht in ihnen oft Wasser. Nur mit den uns bekannten Karten zu orientieren war extrem schwierig, wir versagten kläglich und hatten immer einen Führer dabei. Ich vermisste dabei sehr das abenteuerliche Element, dafür bekamen wir interessante Hintergrundinformationen und sahen deutlich mehr Sehenswürdigkeiten, als wir alleine entdeckt hätten. Gnoms Können und Wissen durch jahrzehntelange Untergrunderfahrung beeindruckte uns sehr. Dazu empfanden wir ihn als spannende und angenehme Persönlichkeit, sodass wir wirklich froh sind, dass wir mit ihm wandern gehen konnten. Angaben zur Tageskilometerleistung kann ich leider keine machen, es hat sich immer nach "ordentlich was" angefühlt, war aber wahrscheinlich im Vergleich zum konventionellen Wandern wenig.
Ich war das zweite Mal in Odessa und mir gefällt die Stadt. Und die Preise: Bspw. kostet eine Fahrt mit dem öffentlichen O-Bus 7ct, ein halber Liter einheimisches Bier in einer einfachen Kneipe 65ct.
Bilder
Ein typischer Indoor-Hiking-Trail, wobei die Deckenhöhe je nach Anlage deutlich niedriger sein kann
Teilweise blättert das Gestein ab und formt schöne Deckenmuster, sowie zu erklimmende Schutthügel
Weiches Gestein und niedrige Höhe führt zu derartigen Passagen, wenn man (oder Pferde) lang genug an der Decke entlangschleifen
Die Pferde verbrachten übrigens ihr Leben lang Indoor, um gut an die Lichtverhältnisse etc. angepasst zu sein. Diese Zeichnung stammt aus der Zeit der Erschaffung der Indoor-Hiking-Anlage
Die Infrastruktur wird/wurde auch von Pilzzüchtern genutzt, was eine willkommene optische Abwechslung für den Wanderer darstellt...
...wird aber leider auch von einigen Bewohnern dieser Oberwelt (das ist die einzige Karte, die ich bereit bin, zu posten)...
...als Kanalisation missbraucht
Glücklicherweise ist das Gestein porös, sodass das Wasser gut versickert...
...und sich zudem schnell und unkompliziert sägen lässt
Auch Wurzeln bahnen sich ihren Weg
Stellenweise ist die Anlage zweistöckig, vereinzelt sogar dreistöckig
Die meisten Brunnen- und Zugangsschächte dienen nur noch der Frischluftzufuhr
Die Anlage besitzt eine exzellente Aufenthalts-, Picknick-und Pauseninfrastruktur, die teils schon von den Partisanen während des Zweiten Weltkriegs genutzt wurde...
...und natürlich Schlafkammern. Leider funktioniert die Heizung nicht und auch die Fenster lassen kein Licht in die Räume.
Sonstiges
Da das Wandern ohne Führer sehr gefährlich ist, gebe ich online weder Kartenmaterial noch Koordinaten von Eingänge heraus.
Und da das Forum hier ein UL- und kein Schatzsucher-/Urbexerforum ist und es vielleicht nicht unbedingt gewollt ist, dass wir derartige Leute über Suchmaschinen anziehen, verzichte ich bewusst auf das Wort, das mit Kata anfängt und mit komben endet, obwohl die Indoor-Hiking-Anlage meiner Meinung nach fälschlicherweise ständig so genannt wird. Der Begriff K. steht für unterirdische Gewölbekomplexe zur Bestattung von Toten, während in Odessa nur in Ausnahmefällen Tote bestattet wurden/werden, z.B. wenn man eine Leiche zu entsorgen hatte - unser Führer hat vor ca. zwei Jahren eine schätzungsweise aus den 90ern stammende Leiche mit zwei Einschusslöchern im Kopf gefunden, die er vor leichenschändenden Menschen sicher bestattete.
Bonus-Infos
Man findet auch einige Infos im Netz zu Odessa, vieles davon leider auf Russisch in kyrillischer Schrift. Der Abbau fand hauptsächlich im 19. und beginnenden 20. Jhd. statt, also ist alles vergleichsweise jung.
Unser Führer Gnom erzählte von schrecklichen Bedingungen, unter denen die Arbeiter schuften mussten und meinte, wenn die Kapitalisten es damals nicht so übertrieben hätten, wäre ihnen vielleicht die kommunistische Revolution erspart geblieben. Von klassischer Zwangsarbeit ist mir allerdings nichts bekannt. Auch diente die Infrastruktur meines Wissens nach nur während des Zweiten Weltkriegs einer nennenswerten Anzahl an Menschen als Wohnung. Denn das Problem lag darin, dass die Besatzer nach Aktionen der Partisanen tödliche Rache an der unbeteiligten Bevölkerung der Herkunftsdörfer der Partisanen ausübten. Da unter Tage aber kaum Essen wächst (es gab Viehzucht, aber irgendwo muss das Futter ja auch hergekommen sein), konnte nur ein kleiner Teil der Zivilbevölkerung unten wohnen. Zudem gab es oft tödlichen Streit unter den einzelnen Partisanengruppen, wenn ich Gnom richtig verstanden habe könnte es sein, dass mehr Partisanen im Streit untereinander, durch Krankheiten etc., als im eigentlichen Kampf gestorben sind.
Laut Gnom war direkt unter Odessa der Steinabbau verboten, was aber nur zu vielen kleinen illegalen Minen führte, deren Verlauf heute nicht mehr vollständig bekannt ist. Außerdem wuchs und wächst die Stadt fleißig über ihre Tunnelsysteme. Wir waren fassungslos, als wir direkt neben einem Eingang, also nur wenige Meter über einem Gang, einen Neubau sahen – es ist zwar nicht überall in der Region Odessa leicht, einen Bauplatz ohne unterirdische Hohlräume zu finden, aber man könnte doch annehmen, dass man ansatzweise durch Fehler lernt. Der Stein in Odessa ist an den meisten Stellen schon von niedriger Qualität und zerfällt verhältnismäßig schnell, wenn er dem Wetter ausgesetzt ist. Dazu kommen dann noch die vom Bergbau verursachten Senkungen und schon verwundern die großen Risse an vielen Häusern in Odessa nicht mehr.
In wenigen hundert Jahren wird wird unten alles eingestürzt sein, auch jetzt schon ist ein guter Führer, der die Einsturzgefahren kennt, wichtig.
Da hilft auch so etwas den Häusern darüber nur temporär.