Rheingauer Gebückwanderweg

  • Bin den Weg Ende März gelaufen. Habe keine Bilder gemacht, weil gefilmt. Also (fast) nur Text und der Link zu den beiden YT-Vids. Am Ende findet Ihr noch die GPXies zum Trail, sowie in bissi Hintergrundinfo zum Weg.

    Viel Spaß beim Lesen


    Tag 1



    Für die Lesefaulen ;) [YT-Link]


    50ish Kilometer entlang der historischen Grenzen des Rheingau. Auf den Taunushöhen. 1200 Höhenmeter für ab und an Abstiege in ein paar Seitentäler des Rheins. Von Niederwalluf nach Lorch...

    Das namensgebende Gebück ist ein Heckenform, in der vornehmlich Hainbuchenpflanzungen zu einer undurchdringlichen Hecke verflochten wurden. Eine grüne Grenzmauer genauer eine sogenannte Landwehr, die an strategischen Punkten, wie Wegkreuzungen, mit Bollwerken - wie der Mapper Schanze - gesichert wurden. Viel historisches steht auf den Infotafeln, die auch in die Jahre gekommen sind. 25 Jahre seit Einrichtung des Weges.
    Vergessen scheint der Gebückweg. Der allgegenwärtige Rheinsteig, mit dem der Weg einige Kilometer und Kreuzungen teil oder die unzähligen Wisper-Trails, die allen Kriterien von Premiumwanderwegen entsprechend ausgestattet sind, dies fehlt dem Gebückweg. Da und dort verblichene Beschilderungen, Wegführungen teilweise durch verwilderte Rückegassen. Viel Forstpiste, Spektakuläres nur falls eh ein Wirtschaftsweg durch- oder vorbei führt. Gefälliger Trail. Und dennoch mag ich den Gebückweg.

    Die ersten 10 Kilometer bis Schlangenbad Suburbiawandern in den unbestimmten Zwischenzonen des Inselrheins, Rheingaus, Wiesbadener Speckgürtel und Taunushauptkammausläufer. Rurale Tristezza im Tal des Warmen Bachs. Die Bundestraße rauscht im Takt eines sonnigen Freitagmittags. Sanft ansteigend in das Deadend Schlangenbad. Kurort. Die besten Tage wirken vergangen. Dieser Tags Walkingruppen im Kurpark. Konzentrische Runden während ich meine Schuhe ausleere. Einen Müsliriegel später, eine Runde weiter. Kurze Runden.
    Bis Schlangenbad habe ich ein paar Mal den Weg verloren - die Markierungen schwächeln- und ich auch; habe mich schwitzend meines Zwiebellooks entledigt sowie für meinen Geschmack zu viele Roadwalk-Kilometer abgewandert.
    Die letzten Höhenmeter zur Quelle des Warmen Bachs ein rascheliges Laufen durch lichtdurchfluteten Laubmischwald, frühlingshaft kahl. Da und dort durchsetzt mit dem ruderalen Floralmashup auf den Kahlschlagsbrachen der Harvester und Borkenkäfer. Patchworkwald im Global Warming.
    Oberhalb von Bärstadt die Höhen des Taunus erreicht. Abfallende Senke. Taunushauptkamm im Nordwesten. Erster weiter Ausblick. Der Ort verschwunden in der Senke, ein Paar Häuser in den Hang gewürfelt, weite Wiese.


    Hausen vor der Höhe sollte eigentlich jener Ort sein an dem ich Wasser zapfe. Die Versorgungslage ist an der Kante zwischen Hinterlandswald und Vorderwald eher prekär. Ich habe auf künstliche Quellen wie Friedhöfe gesetzt, weil kein Filter eingepackt - um jetzt mit einem halben Liter Wasser und der sehr vagen Aussicht in vielleicht fünf bis acht Kilometern an einem Bauernhof Wasser zu ziehen, als einzige Option bis Ransel, was noch 25 Kilometer entfernt ist, einzig und allein mit der Begründund das ich zu faul bin 300 Meter zurück zum Friedhof zu laufen? Manchmal bin ich erstaunt über meine Zuversicht, dass alles irgendwie sich schon weisen wird. Oder meine Doofheit.
    Also laufe ich in der Gewissheit weiter dass sich das Wasserproblem in irgendeiner Form lösen wird - und zugleich umtrieben von einer latenten Unsicherheit ob das genau so aufgehen wird. Darüber verliere ich wieder meinen Weg. Was aber nicht so schlimm ist, da ich den Roadwalkabschnitt zwischen Bitter Eiche und Philipsruh gegen Forstpisten tausche.
    Am Hofgut Mappen stehe ich vor einem Gatter. Der auf Locus angezeigte Weg auf den Hof wird mir hier verwehrt. Ein kurzes Ärgernis wallt auf. Ein unmittelbares Abfinden mit der Situation setzt ein. Ich sondiere. Und verspüre keinen Druck zu handeln. Also lasse ich die Gedanken und die Zuversicht weiter kreisen, laufe zur Mapper Schanze und esse dort ein frühes Abendessen. Reste aus meinem Kühlschrank, die ich auf den Trail getragen habe, nicht sehr leicht - aber das sehe ich bei Consumerables, allen voran Essen nicht so eng. Wrapped Handkäs, Zwiebel, Apfel, Senf, LeberVurst und Weinsauerkraut. Ich blinzel auf die Gebückrekonstruktion und die kaputte Schanze.

    Die Sonne steht halbfünfish tief. Forstpistenromantik. Rucksack leichter. Am Wegesrand der vollgelaufene Graben eines nichtverzeichneten Bachs. Zuversicht verpflichtet. Ich erinnere mich hier schon ein paar Mal Wasser gezapft zu haben... ich packe 2 Liter in meine Platy, werfe zwei Chlorpillen rein. Schaue auf die Uhr. Um 17.15 hab ich neues Wasser. Das sollte alles reichen bis Ransel und die Nacht.

    Schnurgrade mit ein paar korrigierende Knicken führt der Weg auf Forstpisten durch den Hinterlandswald. Wanderwegsmeditationen. Das Licht verlässt längsam den Tag. Oberhalb von Stephanhausen zeichnet sich der Waldrand im Gegenlicht schon schwarz, die letzten Wipfel werden rot von der tiefen Sonne angestrahlt. Am Forsthaus Weissenthurm, ist Sonne noch nur noch der helle Streifen über der dunklen Horzontlinie. Blaue Stunde. Der letzte Traktor dreht seine Runden auf dem Feld, die ersten Fledermäuse kreisen.
    Oberhalb von Presberg stelle ich im Wald mein Tarp auf. Ignoriere die Wetterseite, der Wind weht in offene Tarp - morgen ist Regen angesagt. Kein gutes CampSetup. Es ist mir zu dunkel nochmal umzubauen. Es wird schon alles gut gehen...

    Tag 2

    Für die Neugierigen ;) [YT-Link] (ab dem 14.4. On)


    Die Nacht war kalt. Kalt und windig. Und laut.
    Grelles Tarpflattern, DCF-Sound. Rehe bellen. Eine Rotte Wildschweine galoppiert durch die Nacht. Helles Laubrascheln am Foodbag.
    Um 5 Uhr verfalle ich in ein Dösen das ich nach ein paar mal wenden aufgeben, ein paar Zuckerriegel für den Kreislauf reinschiebe und meinen Kram zusammenpacke.
    Es regnet nicht, wie der Wetterbericht angedroht hatte. Fisseliger Kondens schwirrt durch die Luft. Graukalter Morgen. Vogelgezwitscher, leuchtend grüner Stinkender Nieswurz und ein paar gelbe Schlüsselblumen dotten das unstimmte weiße Morgenlicht das durch dumpfes Geäst bricht. Abstieg auf wilden Pfaden ins Wispertal. Aaufgelassenen Wirtschftswegen.


    Auf bröckelige Kreisstraßen suche ich den Aufstieg. Verpasse im konturlosen Gedankentreiben den richtigen Abzweig, verbleibe auf dem Taunushöhenweg, merke dies jedoch erst zu weit oben als das ich für die connecting footsteps umkehren möchte. Damit ich nach Ransel komme entscheide ich mich freestyle für Forstpisten.
    Ransel, auf den Taunushöhen gelegen umgeben von Feldern. Freier Blick über wogende Hügel, die Ahnung des Rheintals, der Hunsrück. Verpasse wieder Wasser auf dem Friedhof aufzufüllen. Es sind noch 10ish Kilometer. Trauere kurz meiner Gedankenlosigkeit hinterher, empowere mich in meiner Lustlosigkeit zu mangelnder Selbstsorge und verweise auf Erfahrung und die kalkulierbarkeit des Risikos mit wenig Wasser weiter zu laufen.
    Steige über ein namenloses Seitental des Tiefenbachs runter in das traurige Sauerthal.Auch hier folge ich intutiv dem falschen Weg, kehre jedoch nach zwei Kurven und ein paar Höhenmetern wieder um und folge dem Gebückweg gen Ortsausgang. Am Friedhof nehme ich noch das "Kein Trinkwasser"-Wasser dankbar als Backup an. Bestaune die Leere des Ortes. Zu viel Platz für die Toten hier. Hier will keiner sterben. 144 Menschen leben in Sauerthal. Eine "funktionelle Exklave" hört sich sehr Verwaltungsdeutsch an. Sauerthal, obgleich rheinlandpfläzisch, ist jedoch Verkehrstechnisch nur via Hessen erreichbar, der ÖPNV ist somit auch nicht der VRM sondern der RMV und die Kinder gehen auf hessische Schulen. Sanfte Grenzerfahrungen in den föderalen Borderlands. Für mich fühlt sich Sauerthal immer wie eine Sackgasse an - für das Leben. Und mit Blick auf den leeren Friedhof auch für das Sterben.

    Durch das nächste namenlosen Tiefenbachseitental zu Füßen der Sauerburg geht es wieder auf die Taunushöhen.
    Aus den bewaldeten Tälern trete ich auf die freigehauenen Wiesenflächen auf Höhe. Wilde Heckeninseln. Sanft abfallend gen Rheintal. Die Hänge des Hunsrück fallen auf der anderen Seite hinab, die welligwogenden Hügelplateaus in duffusem Licht. Der Schenkelbach hat sein Tal so tief in den Schiefer gegraben, das recht unvermittelt der Blick Richtung trutzigen weißleuchtenden Pfalzgrafenstein mitten im Rhein eröffnent wird. Kaub, Oberwesel mit seiner mittelalterlichen Stadtmauer, der markant roten Schönburg. Rheinromantik in a nutshell. Der Wind zerrt dumpf an mir.
    Über das Retzbachtal laufe ich durch Kleingärten hinab Richtung Lorchhausen. Gefällige Langeweile beim laufen. Der Rheinsteig und damit der NST kreuzen. Ich drohe mich wieder zu verlaufen. Möchte aber nicht den Rheinsteig hier mitnehmen. Achtsamkeit hilft, den Rest macht Locus.


    Die Clemenskapelle trohnt recht wuchtig über dem kleinen Rheinort. Mit ihr öffnet sich das Bachtal und wie immer beeindruckend öffnet sich das Rheinpanorama vor mir, stimmungsvoll choreographiert brechen die Wolken auf, blauer Himmel und Sonnenstrahlen. Die Krippen liegen trocken, der Fluss schimmert in einem öligem Blau. Von Bacharach bis Lorcher Werth kann der Blick hier schweifen. Wolkenschatten treiben über die Flanke des Engweger Kopfs, im Hang sind bunten Menschen unterwegs, ich Stimmen werden flatterig vom Wind zu mir geweht. Die Ortschaften Medenscheid und Neurath an die abfallenden Hänge des Hunsrück geklebt. Die Talortschaften Rheindiebach und Niederheimbach klemmen sich an den schmalen Rand zwischen Abbruchkante und Fluss teilen sich den rest Platz die Bundesstrasse und Bahn gelassen haben. Die Schiffsdiesel wummern ihren bedächtigen Sound der sich diffus flächig die Hänge hochwabert. Ein paar Windsurf-Segel zerschneiden bunt die Fahrrinne.
    Es ist noch nicht warm genug als dass das Tal seinen typischen Geruch meiner Kindheit verströmt: die teerigen und holzigen Ausdünstungen der Sticker, das schwefelige der Spritzmittel, der dumpf algig feuchte Fluss, flirrender Asphaltdurft der Wirtschaftswege in den Weinbergen vermischt mit mit dem mineralischen Dunst der Trockenmauern, aufgebrochene trockene Krume, erdig staubig zwischen den Reben, leicht Florales Wehen der Sommerblumen, die grasigen Randstreifen...
    Heute verweht der Wind alles was in den Erinnerungen auftaucht. Ich gebe mich diffusem Schwelgen hin, der Rest ist eine entrückte unbestimmte Leere, die mich beim Blick in die Landschaft erfüllt. Ich wrappe die Reste meines Essens, schaue den Fluss hinab und träume mich zu einem Hafercappuchino und Schokokuchen in Lorch. Krokusse, Glockenblumen und Traubenhyazinten umringen das Kruzifix aus Buntsandstein an meinem Pausenort. Die Sonne verschwindet hinter den zusammengeschobenen Wolken.
    In zwei großen Serpentinen windet sich der Weg aus dem Weinberg in Ort. Das angepeilte Cafe hat zu. Der nächste Zug fährt in 20 Minuten. Ich werde mein Schoko-Fett-Zucker-Koffein-Glück in einem anderen Ort suchen...

    *-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*

    INFOS ZUM TRAIL

    50ish Kilometer
    Jeweils 1200ish Höhenmeter rauf und runter
    Von Niederwalluf nach Lorch - kann in beide Richtungen gelaufen werden, ich bevorzuge von der Landschaftsdramaturgie jedoch o.g. Laufrichtung

    GPXies

    Keine Resupply-Möglichkeit on trail (Bäckerei in Martinstal)

    Wasser gibts weniger. Bei der Mapper Schanze gibts ne Sickerquelle (Km 20ish). Ansonsten Friedhöfe oder aber ab Ransel zwei Zuflüsse des Tiefenbachs (Km 40)

    Bei Km 24ish ne Schutzhütte mit Picknicktisch. Ist Weitläufig genung und plan genug um in Nachbarschaft das Zelt/ Tarp aufzustellen...

    -- Hintergrundinfos --

    WIKIPEDIA über den WEG
    WIKIPEDIA über das GEBÜCK

  • Danke für den Bericht und das Video.

    Interessant, wie du die Musik da einsetzt: 5/4-Fragment in exakt der Schrittfrequenz, Schnitte passend zur Musik - das gefällt mir!

    Und noch ein OT: Dadurch auf deine Videos zum Saar-Hunsrück-Steig gekommen.

    "Nichts leichter als das", antwortete Frederick. "Komm mit!"

  • Wunderschön geschrieben, bitte mehr!

    Ich bin Teilen des Weges mal bei einer Freestylewanderung durch den Taunus gefolgt, mich fasziniert bis heute, dass mir nur wenige Kilometer von Städten wie Wiesbaden, 24h kein Mensch begegnet ist.

  • mich fasziniert bis heute, dass mir nur wenige Kilometer von Städten wie Wiesbaden, 24h kein Mensch begegnet ist.

    Stimmt. Ist recht einsam da. Ich habe noch etwas für den Text recherchiert und da gibt es Ecken im Hinterwaldsland in dem weder Ortschaften liegen noch Straßen durchführen - aber auch keine Wanderwege:D. Forstpisten jedoch.

    Es ist eine schon der wilderen Ecken in Hessen.

  • [ot]Und noch ein OT: Dadurch auf deine Videos zum Saar-Hunsrück-Steig gekommen

    Das freut mich sehr zu hören. Wann gehts los?

    : 5/4-Fragment in exakt der Schrittfrequenz, Schnitte passend zur Musik - das gefällt mir!

    Danke <3 und ? ("5/4 fragment in exakt der schrittfrequenz") ich hab mir mein eigenes vid noch xfach angesehen, has sogar mitgezählt - und verstehe Anmerkung dennoch nicht :D )

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