27. Tag - 05.09.2020 oder der nicht enden wollende Abstieg
Rifugio Cà d’Asti - Susa
16.8 Kilometer, 44 Höhenmeter rauf, 2381 hm runter, 5 Stunden
Die heutige Etappe ist eigentlich schnell erzählt. Nach einem äusserst mageren Frühstück machten wir uns an den Abstieg nach Susa, wo Ch. die GTA für dieses Jahr verlassen wird.
Im ersten Abstieg nach La Riposa (kurz unterhalb endet die öffentliche „Strasse“)kommen uns unzählige Menschen entgegen. Das habe ich noch nie irgendwo anders erlebt. Ch. war froh, den Aufstieg auf den Rocciamelone nicht auf heute verschoben zu haben. Kurz nach La Riposa war der Zauber vorüber und wir trafen den restlichen Wandertrag erwartungsgemäss kaum andere Menschen.
Zwischendurch ein etwas angenehmerer Abstieg
Was für ein schöner Wegweiser!
Vorbei an einem grossen Partisanen-Denkmal wurde der Weg vorübergehend etwas angenehmer und es war bald Zeit für ein etwas üppigeres Frühstück.
In meinem „Tagebuch“ habe ich mir noch notiert, dass wir Wildschweine gesehen haben, woran ich mich aber nicht mehr erinnern kann. Im Posto Tappa Il Trucco gönnten wir uns dann nochmals eine gemütliche Pause. Aber es hilft ja alles nichts und die zahllosen Höhenmeter laufen sich nicht selbstständig. Nach einem nicht Enden wollenden, teilweise steilen und mühsamen Abstieg durch von Waldbränden gezeichnete Wälder erreichten wir endlich Susa.
Vom Waldbrand gezeichnet. Sehr eindrücklich
Humor in Krisenzeiten - Max und Sabry. Zwei Herzen und eine (Schutz)Maske
Es war erst 15 Uhr, aber ich hatte echt genug für heute. 2000 Höhenmeter im Abstieg sind schlimmer als 2000 im Aufstieg. Auch wenn es mal wieder Zeit für eine Nacht im Tarp gewesen wäre, beschlossen wir uns ein Hotelzimmer zu teilen.
Nachdem jeder gemütlich geduscht und ich meine Klamotten im edlen Hotelbad gewaschen und lange mit meiner Partnerin telefoniert habe, gings in die Stadt.
Ich kann mich noch gut an eine Demonstration in der Stadt erinnern. Diese Demonstration sollte mich Morgen nochmals einholen, aber dazu mehr in der nächsten Etappe.
Susa ist echt einen kleinen Stadtbummel wert!
Wir genossen die sehr schöne Altstadt und schlenderten etwas umher. Die vielen Leute und das Treiben war ein kleiner Kulturschock nach den letzten Tagen und Wochen. Trotzdem fühlte ich mich wohl hier und genoss die schönen Gebäude.
Am Abend gönnten wir uns ein ausgiebiges und sehr gutes Abendessen (Pizza natürlich). Im Anschluss noch ein feines Gelati (die grösste Portion natürlich) und ein grosses Panache im Aussenbereich der Hotelbar.
Ich schlief wie ein König!
28. Tag - 06.09.2020 oder die Polizeikontrolle
Susa - unterhalb Riffugio Arlaud
25.6 Kilometer, 1859 Höhenmeter, 8 Stunden, 26 Minuten
Das Frühstück im Hotel war etwas ungewohnt. Einerseits habe ich schon lange nicht mehr soviele Schweizer gehört. Andererseits war das Buffet, wegen Covid-19, bedient. Immer wenn mal also etwas wollte, wurde einem dies auf den Teller gelegt oder an den Tisch gebracht. Irgendwann war aber selbst ich satt und wir machten uns auf den Weg.
Noch etwas Werbung: Hotel Susa & Stazione, gleich am Bahnhof Susa. 89 Euro für zwei Personen, eine Empfehlung!
Die nächsten Tage wars wieder etwas dünn mit Einkaufsmöglichkeiten und so füllte ich hier meine Vorräte auf. Ausserdem bot sich Ch. als Rucksackwache an. So befreit tigerte es sich auch etwas angenehmer durch die Regale. Ganz alles von meiner Einkaufs-/ Wunschliste fand ich nicht, aber dafür gabs wieder viel Früchte und andere Leckereien, damit ich auch die nächsten Tage nicht verhungere.
Falls einer Spiritus in Susa sucht. Die hatten dort einen 5 l Kanister. In Italien wird Spiritus als Fensterreiniger genutzt, was auch den süsslichen Geruch und die Beschriftung der Behälter erklärt. Ch. und ich verabschiedeten uns und ich machte mich auf den Weg.
Bezüglich der GTA-Route zwischen Susa und Salbertrand schweigt sich der Rother ja mal wieder aus. Bätzing ist da einfach deutlich ausführlicher. N. liess mir die benötigten Kartenblätter, von einer in der Schweiz nicht erhältlichen Karte, netterweise per Textnachricht zukommen. Die Beschreibungen aus dem Bätzing habe ich vorgängig gescannt und hatte diese in elektronischer Form dabei. Mit der Beschreibung aus dem Rother und den Kartenblättern fand ich den passenden Einstieg problemlos und kam so auf den richtigen Weg. Die weitere Wegführung war dann auch ohne Beschreibung recht problemlos. Ich bin eigentlich ein grosser Fan der Rother Reiseführer. Auch deren GTA-Führer ist eigentlich gut. Es gibt aber einige Mängel im Buch die einfach schlecht recherchiert sind. Ich hab dem Rother Verlag meine Notizen zukommen lassen. Mal sehen ob und was die draus machen (Es wurde nie auf der Homepage publiziert, soviel zu "Rückmeldungen sind willkommen"... Aber zurück zum Weg.
Rückblick zum Rocciamelone
Gemütlich wanderte ich auf der sanft ansteigenden Strasse dahin und fand so nebenbei den einen oder anderen Cache. Ich bog von der kaum befahrenen Asphaltstrasse auf einen schönen Feldweg ab welcher dem Gelände folgte. Es war ein Traum hier zu laufen.
Doch plötzlich erhob sich ein mächtiges Metallgatter vor mir. Ich verstand die Welt nicht mehr. Habe ich einen Abzweiger verpasst? Ich lief etwas zurück. Nein, ich bin richtig, was auch mein GPS bestätigt.
Plötzlich standen drei Polizisten vor mir und verlangten nach einem Ausweis.
Auch wenn die Polizisten freundlich waren, fühlte ich unwohl. Ich schilderte auf Italienisch und Englisch was ich vorhabe und deute meinen GTA-Führer. Einer verschwand für eine Weile mit meiner Identitätskarte hinter dem Gatter. Ich vernehme ein paar Funksprüche bevor derjenige mit meinem Ausweis zurückkehrt.
Es gibt kein Durchkommen und keine Ausnahme. Ich kann noch in Erfahrung bringen, dass der ganze Aufwand wegen befürchteter Ausschreitungen wegen des Ausbaus der Hochgeschwindigkeits-Zugstrecke (TAV - Deutschsprachige Info für Interessierte) betrieben wird. Einer der Polizisten versucht mir noch zu erklären wo ich alternativ durchlaufen kann. Leider war das keine passable Alternative (Strasse). Es hilft ja alles nicht und so kehre ich um. Ausserhalb des Blickfeldes der Polizisten studiere ich die OSM Karte auf meinem GPS. Hmm, wenn ich einige Meter querfeldein gehe, sollte ich auf einen alten Pfad kommen. Am Ende dieses Pfades, rund 600 Meter hinter dem Gatter, sollte ich wieder auf die GTA stossen. Ich will es versuchen.
Mühsam schlage ich mich durchs steile Gelände hoch. Gerade als der Weg etwas angenehmer wurde, muss ich einen umgestürzten Baum überqueren und stosse mir grausam den Kopf. Ich fluche und nerve mich noch mehr. Das Blut mischt sich mit dem Schweiss und so wirkt die Wunde grösser als sie ist. Ich versuche das Ausmass mit der Kamera abzuklären. Halb so schlimm.
Zum Glück nicht so schlimm wie Männergrippe
Weiter gehts gemächlicher auf dem alten Weg. Wie geplant bin ich bald wieder über der ursprünglichen Route. Nichts zu hören, keine Polizisten zu sehen also steige ich vom Pfad auf die Route ab. Bald erreiche ich einen Fluss und wasche mir mein Gesicht. Zeit die Wunde zu verarzten. Das Pflaster ist grösser als nötig aber kleinere habe ich nicht dabei
San Colombano
Der schöne Höhenweg führt mich weiter an einigen schönen Weilern vorbei und ich treffe lange keine Menschenseele. Den einzigen Menschen den ich treffe, informiere ich über die Wegsperre. Er will ohnehin nicht so weit laufen. Er erklärt mir um was es bei den Protesten genau geht und das die ganze TAV-Sache in der Bevölkerung sehr kontrovers diskutiert wird. Nach einem netten Gespräch verabschieden wir uns. T rotzdem der Weg an einigen bewohnten Weilern vorbeiführt treffe ich die nächsten Stunden bis Salbertrand keine Menschenseele. In Sant`Antonio lese ich eine Gedenktafel an der Kirchenmauer. Die Partisanen schienen in der Region in der Zeit des 2. Weltkrieges besonders aktiv zu sein. Zumindest sind mir zuvor nie solch zahlreiche Tafeln aufgefallen. Die ganze Sache stimmt mich wiederum nachdenklich.
Trotzdem geniesse ich den schönen Weg der immer wieder mit bissigen Gegenanstiegen aufwartet und schlussendlich einige Höhenmeter mehr ergeben soll als Bätzing in seinem Buch schreibt.
Irgendwo im Wald lege ich eine späte Mittagspause ein. Es ist drückend heiss und ich geniesse den Schatten. Der Weg steig einmal mehr steil an und wenig später tut sich der Ausblick aufs Forte di Exilles auf. Eine eindrückliche Anlage, welche ich gerne aus der Nähe besichtigen würde. Auf dem weiteren Weg laufe ich oft an Brombeersträuchern vorbei, welche ich natürlich nicht ignorieren kann
Forte di Exilles
Gegen 17 Uhr erreiche ich Salbertrand was auf mich wenig einladend wirkt. Ich laufe an einigen Resturants vorbei in Richtung Bahnhof und höre die Autobahn. Nach der heutigen Ruhe ist mir das zu viel. Ich quere den Ort schnellstmöglich und erreiche bald ein kleines Naherholungsgebiet. Hmm, soll ich mein Tarp hier aufschlagen oder noch etwas aufsteigen? Da meine Beine noch recht gut sind und die Temperaturen etwas angenehmer, steige ich auf. Irgendwo, rund 30-40 Minuten unterhalb des Rif. Arlaud treffe ich auf die Ruine einer Alpe. Vor dem „Gebäude“ befindet sich eine kleine ebene Fläche und sogar ein kleiner Brunnen ist vorhanden. Was will man mehr?
Mit meinem Wasserbeutel improvisiere ich eine Dusche. Nackt wie ich dort stand, vertraute ich darauf, dass sich um diese Uhrzeit keiner mehr hier hoch verirrt.
Ich geniesse den Abend, freue mich auf die morgige Assietta-Kammstrasse und schlafe zufrieden ein.
Irgendwie passend zur Tageszeit. Aufgenommen an der Kapelle Moncellier di Sopra vor Salbertrand
Abendstimmung von meinem Nachtlager aus