Spessartweg 1 | Aschaffeburg - Gemünden | 62 Kilometer | 1550 Höhenmeter | Mehr Infos hier | Keine Packliste (3.7ish BW) | Wer mehr Bilder will, sry. Hab mehr gefilmt als fotografiert | Für bewegte Bilder: KlickKlick
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Träumte spinnerte Imaginationen. Phantasierte, reiste durch meinen Bilder. Die Sonne wehte durch das herbstliche Farbenspiel. Wirkte golden. Wirkte warm. Das wallenden Rauschen der Autobahn verschmolz in wogenden Blättern, verschwand aus dem Bewusstsein. Gleißende Strahlen kitzelten die Nase, die Augen zogen sich unwillkürlich zusammen, das schnelle Schattenspiel im Wind auf dem Gesicht, ein Strahlen. Die Sohlen rutschten über das nasse Laub. Irgendwo werden Ideen geboren, werden innere Bilder gemalt. Und so lyrisch es anfängt, so führen die Wege des Vorstellbaren manchmal unprätentöserweise eben in den Spessart.
Als ob dem Spessart nichts lyrisches anhaften würde, der größte zusammenhänge Laubmischwald der Republik, Sagen und Mythen, geschichtsträchtiges und kulturell bedeutsames findet sich zwischen Odenwald, Rhön und Vogelsberg. Stoff ist also genug vorhanden.
Der Spessart wird von einer kurzen Wanderweg-Trilogie, den Spessartwegen Eins bis Drei durchzogen. Den zweiten bin ich zu Beginn meiner Mehrtageswanderkarriere mal gelaufen. 2016 vielleicht. Im Kopf noch kein Longdistance Hiker, blieb der Weg als Enttäuschung eines Wochenendhikers zurück, der zu viel in diese 60ish Kilometer projizierte. Ja, deutsche Dorftristezza und Autobahn, Wirtschaftswege und die ambivalente Schönheit der Landmark, Gewerbegebiet und Kuhweide eine gängige Erfahrung auf heimischen Wanderstrecken. Nun, nach zwei Nord-Süd Thruhikes durch dieses Land geläutert, kann ich dem eigentümlichen Ensemble durchaus etwas abgewinnen - und sei es nur das es den Raum zur Durchwanderung anbietet. Im Gedächtnis blieb die Erinnerung, das die ersten zaghaften Ultraleicht Schritte unternommen wurden, inklusive ihrer, heute von mir sanft- und hochmütig belächelten Fehler und Eigenheiten holpriger Anfänge.
Jedoch weder Nostalgie, noch irgendwelche Aufladungen des Spessart führten mich auf einen seiner Wege. Vielmehr Pragmatismus. Alle anderen Wege, auf meiner eigenen vorgehaltenen Regio-Liste sind eher um die 100km. Ich habe jedoch einfach keine Zeit für 100Plus K. Und einfach zielloses Overnighter-Strollen im Taunus, das widerstrebte mir dann doch. Soviel zur Vorgeschichte.
ich Schrieb gerade die erste Outline für diese Vorrede [und ein bisschen mehr] im schon abfahrtsbereiten Zug gen Aschaffenburg sitzend, als das Telefon klingelte...
Mit dem folgenden Gespräch ergibt sich, dass ich meine Pläne ändern muss. Heute kein wandern. Ich habe einen Termin in meinem Kalender falsch eingetragen. Heute Seminargruppe. Ich bin die Seminarleitung. In einer halben Stunde. Ich brauche allein 20 Minuten um überhaupt nach Hause zukommen...
Naja, in meiner Karriere als Seminarleitung habe ich schon ein paar Dinge verbockt, ich habe auch gelernt damit umzugehen. Eine Strategie ist, eine Liste Worst-Case-Szenarien zu haben und sie genüsslich lachend abzuhaken, wenn sie denn eingetreten sind. Mit dem heutigen Tag ist der Punkt "Termin vereiert" abgehakt, fehlt nur noch "mit den falschen Seminarmaterialien beim Seminar erscheinen" - dann ist mir alles mal passiert was ich auf der Liste stehen hab. Mit unternehmerischer Ernsthaftigkeit hat das nichts zu tun, aber muss es auch nicht: die Krisenbearabeitung solcher Fälle, Nachbesprechungen, Feedbackschleifen, Reflexionsrunden, Verbesserung der Betriebsabläufe usw. sind schon freudlos genug. Auch wenn es für die Story nicht weiter relevant ist: Seminar fing eine Stunde später an und verlief sehr gut. Wir haben viel gelacht - über mich. Und produktiv das abgearbeitet was auf die Auftragsklärung als Ziel definiert hat.
Zu Hause checke ich aber nochmal ob meine Kalender synchron sind...
[Tag 1: Aschaffenburg >> Weikertswiese]
Die Zugfahrt verschwindet im Text. Tippe noch hektisch ein paar weitere Stichwörter der Vorgeschichte dieses Hikes damit die Ideen und Bilder nicht verloren gehen.
Fließe mit den Pendler:innen auf das Gleis, kaltes Licht, der Atem kondensiert. Ich fröstel, schiebe es auf die Müdigkeit. Trotte die Treppen in die Unterführung hinab. Mich umschleicht jedoch auch das Gefühl, dass der Temperatursturz um fünf Grad nur mit einem zusätzlichen Bufftuch nicht adäquat aufgefangen ist. Mein Kopf sortiert die Möglichkeiten, keine Lösung außer das beste hoffen, frieren gegebenenfalls, stupid light ist manchmal auch Zuversicht oder Gedankenlosigkeit. Kaufe etwas mehr Essen ein. Brennstoff. Wenn der Körper schon die einzige Energiequelle diese Hikes ist. Stoveless, 3.5 Jahreszeiten No Cook. Dafür nehme ich zur Kenntnis das mich das Kühlregal diesmal nicht so anspricht, Schokolade dafür umso mehr.
Alles für die nächsten 40 Kilometer im Rucksack verstaut. In Lohr die nächste Resupp-Möglichkeit. Trete wieder hinaus ins Kalte, die Banane für den Weg schafft es keine 50 Meter.
Aschaffenburg trubelt geschäftig um den Bahnhof. Es ist 10ish. Lieferverkehr und Gleitzeit-Angestellte, Auslagen werden vor die Läden geschoben, Ladenfronten geputzt, Pendler:innen streben Richtung Innenstadt, Schlangen vor der Bäckerei. Coffee to go und Stulle fürs Office. Ein verbeulter Hermes-Sprinter schiebt hupend sich durchs Gedränge. Folge der ersten Markierung und lasse mich mit treiben. Noch schnell einen Espresso und dann durch die Parkanlagen gen Fasanerie, Trailhead des Spessartweges.
Landschaftsarchitektonisch in den Wald gegärtnert, ist die Fasanerie Ausgangspunkt des Trails. In der Morgensonne unter einer ausladenen Buche sitzt im Gegenlicht jemand auf einem Bankfahrrad im dortigen Fitnesspark und kurbelt sich Muckis in die Beine, den Kreislauf hoch oder den Speck vom Po. Dunstig wabert funkelnd weiße Luft über der tauglitzernden Wiese, gleißt strahlend Warm die Sonne durch die Reste des Bodennebels. Ich genieße kurz den kontemplativen Anblick, klatsche das Schild des Trailheads ab und laufe los.
Der Wald, ein leuchtend gelber Tunnel, schwarze Säulen recken sich gen Himmel, verschwinden im warmen Leuchten. Schnöde Forstpiste herbstlich inszeniert. Ich packe die Kamera aus. Der Faseneriesee kündigt sich schnatternd an. Stockenten und Nilgänse. Die blaue Spiegelfläche kräuselt wellig auf der Himmel, die Bäume schwappen träge spiegelnd gegen das Ufer. Ich versuche mich mit den typischen Vlogging-Monologen, merke das ein Kaffee und fünf Minuten on trail nicht ausreichen für Performancelaune. Lasse es sein, versinke im Gelb.
Hundewiese, weißes Funkeln taubenetzt. Joggende uns Vierbeiner Plus Anhang, letztere geben dem Ort seinen Namen. Milchig schüttet sich das Sonnenlicht über die Wiese, glitzernd bricht sich das Hell in nassen Spinnenweben weißlich, kristallin wirken Gräser und die späten Kleeblüten des Jahres. Violetter Schimmer, fast gefroren. Die letzten Wolken hängen in den bunten Kronen. Im schwarzen fast blätterloses Geäst schimmert es diesig, gelb grün, braun, rote Sprengsel hängen träge herab. Im Licht beginnt der Tag zu verdampfen. Licht und Farbenspiel. Kontrast kaltes Morgennebellicht bricht durch warmfarbenes Blätterwerk. Ich komme vor Begeisterung gar nicht voran. Verweilen, betrachten, genießen, festhalten.
Um den Godelsberg herum, Streuobstwiesen. Haibach. Friedhofscamelup. Wie so oft keine Wasserplanung gemacht. Soviel rein wie geht, Falsche voll. 0.75l, wie immer. Zuversicht wiegt weniger als Angst, und kostet weniger Zeit als Planung. Das Risiko des Dehydrierens in deutschen Mittelgebirgen ist kalkulierbar.
Nach Ortsrand-Roadwalks verschwinde ich wieder in Wald. Buntes Leuchten, der laubbedeckte Boden raschelt trocken mit jedem Schritt. In einem Bogen folgt der Trail dem Strietbach, senkt sich langsam in sein Tal, die Luft wird muffig kalt, modrig feuchter Waldbodengeruch, humos, pilzig. Ich sauge die Eindrücke tief ein. Nasendusche im Waldbad.
Kloster Schmerl. Ein paar Ausflügler:innen kommen mir entgegen Brezen und Kaminwurzen essend. Muffig wabert Frittenfett und Spülmaschine aus den Seiteneingang der Klosterküche. Olfaktorisches Wellbeing, alte Gastroliebe. Ich entdecke einen Überquellen Aschenbecher, neben einer Bank. Pausenraum.
Auf der Anhöhe hinter Schmerlenbach Fernblick auf die Berge zu dessen Füßen Waldaschaff sich langzieht. Ein sanftes Wogen in dunklem Grün, getüncht in rot, bräunlichen Farben. 400ish Meter Brandenberg, Steinkückl, Hockenbuckel, Brandberg. An ihren Flanken laufe ich oberhalb Waldaschaffs. Blätter- und Autobahnrauschen verschmelzen zu einem sonoren Sound.
Als der letzte Nebel die letzte im Geäst verfangene Wolke von der herbstlichen Mittagssonne verdunsten worden ist, ein strahlend blauer Himmel, diffusweißlich gen Horizont, direkt über meinem Kopf ein klares ungetrübtes Himmelblau. Kontrast für das gelb, orange, hellbraun leuchtende Blattwerk der Buchen. Kaum merklicher Wind, ein raschelndes Rauschen in den Kronen und lautlos segeln und schweben Blätter auf den Boden.
Pause um 14h oberhalb von Waldaschaff. Die Autobahn rauscht, verschwimmt mit dem wogenden Wald, tritt hier an der Lichtung wieder als durchaus romantisch in das Blätterwogen in das Bewusstsein. Vor mir funkeln Lagerhallendächer und Autos auf Parkplätzen in der Sonne. Vorderspessart-View und Stulle.
Für ein paar wenige Kilometer teilen sich Spessartweg Eins und Zwei den Trail. Ein schwelgender und schmunzelnder Ausflug in die Anfänge meiner Wander- und UL-Karriere. Den zweiten der Wege Trilogie bin ich mal gewandert. Vielleicht 2016, vielleicht 2015. Es ist länger her. Ein sonnig warmes Oktoberwochenende um den Tag der deutschen Einheit. Mein Packliste eine Unentschiedenheit aus UL und Residuen der Schwere. Eingepackte Unsicherheiten, Erfahrungslosigkeiten und Ängste füllte den Rucksack, zugleich leerten ihn verwegenes aussortieren, Lust am Improvisieren und Ahnungslosigkeit. Ein Sommerschlafsack im Oktober, weil leicht. MSR NX 1 ohne Innenzelt, weil leichter. Groundsheet eine Rettungsdecke. Großer Titan Topf, weil Titan. Noch hatte ich Angst in Wäldern alleine zu schlafen und wagte mich mehr und mehr an den Rand des Baumbestandes heran. Der Preis allmorgendliches kondensverfrösteltes Wachwerten in taunassem Gear. Meine Salomon Irgendwas Gore-Tex Trailrunner verwandelten meine Füße binnen der 60 Kilometer in eine Landschaft aus Leucotape und Schmerz.
Bis Rothenbuch verbleibt der Weg im Wald. Verloren in Farben und Licht und tauche ich erst an einer Trailkreuzung nähe Eselshöhe wieder in mein Bewusstsein. Hier kreuzt der Eselsweg. Thruhike Januar 2022. 111. Kilometer von Schlüchtern nach Großheubach. Ich kann die Wegkreuzung nicht erinnern, sie ist leidlich unspektakulär, warum auch. Und dennoch verweile ich ein paar Augenblick und tauche ab in einige Bilder des Hikes Während auf dem Eselsweg, benannt nach dem vornehmlichen Lasttier der alten Handelsstraße, Salz und Wein durch den Spessart pendelt wurden, verriet die Infotafel, dass es auf meinem Wege später vor allem Spessarter Glas war, neben allerlei anderer Handelsgüter, die das Mittelalter so von A nach B transferierte.
Rothenbuch empfängt mich mit dem 5 Uhr Geläut. Am Friedhof fülle ich Wasser für den Abend auf. 27k ish bisher. Fehlen noch so sieben bis achtish, neun bis kurz vor Lohr. Das heißt auch Nachtwanderung. Ich horche in mich. Hunger ja, aber nicht so sehr. Nachtwandern, eher ungern. Essen bei Tageslicht oder im Camp? Ich mag nicht mit vollem Magen ins Bett, Kocher hab ich eh nicht dabei, das Argument für Camp-Essen, wärmendes vor dem Schlafengehen, entfällt. Bei Tageslicht, heißt zwei, drei K im Dunkeln mehr zu laufen. Überschaubar. Abendessen im Camp heißt Zeit im Dunklen sinnvoll zu nutzen. Ich wäge ab, lasse mich von eine Wiese voller Parasole, riesiger Parasole aller Alter, ablenken. Und schlussendlich entscheidet eine Bank am Waldrand für mich. Sonne. Blicke den Spessart hinab - beziehungsweise könnte ich, wenn die erste Hügelkette Spessart nicht bereits den Blick auf mehr Spessart versperrt. Goldwarm angepinselt wirkt es behaglich. Ich versuche dennoch so viel, so schnell wie möglich an Essen in mich hineinzubefördern, damit ich das restliche Tageslicht noch möglichst effizient nutzen kann. Und die letzte Stulle dann auch noch to go.
Mit der tiefstehenden Sonne verschwindet die Wärme aus dem Wald, ihre letzten Strahlen streifen die Kronen und setzen sie rot in Flammen. Dumpf werden die Farben. Blaues Licht, blaue Stunde. Die Stämme werden Schwarz, das Gelb eigentümlich kalt, das Grün satter. Suchend geht mein Blick nach oben, das letzte Aufbäumen der warmen Farben in den Wipfeln, bis auch dies verschwunden ist und die Kühle der Nacht Einzug hält.
Am Bischofsborner Hof läuft die Senke des Rechtenbachtals sanft zwischen Kuppel und Gauberg aus. In der Wiese wabert weiß der erste Bodennebel. Ich betrachte den Verkehr, ein diffuses Rauschen. Lichterlinien im Dunkel. Der schwarze Wald zeichnet einen Scherenschnitt gen Himmel im Westen noch die letzten Rest Licht sich an den Kronen festzuhalten scheint, während von Osten dunkles Blau nachgeschoben wird. Eine Ahnung von Schwarz der Nacht. Der Nebel wabert weiter kriechend über den Boden und verharrt am Strassenrand. Ich tauche wieder ein in den dunklen Wald. Verkalkuliere mich bei der Pennplatzsuche, weil die Landstraße dann doch sonor ihren Lärm in den Wald gießt und die Topographie der Karte weniger schief aussah als in Realiter - ganz abgesehen davon, dass dieses Grün mit zweierlei Baum-Icons nichts über die Tatsächliche Vegetation aussagt. Zu dicht für eiben guten Spot. Und zu schief. Also laufe ich weiter. Kurz vor der Weikertswiese finde ich ein leidlich gerades und freies Stück. Cowboy-Camp kompatibel. Direkt neben dem Weg. Unprätentiös und Pragmatisch. Habe keine Lust mit Taschenlampe durch das Unterholz zu stolpern auf der Suche nach einem Pennplatz. Das passt doch alles.
Ich habe spätestens seit meinem ersten Thruhike ein völlig unromantisches Bild vom draußen Schlafen - die meisten Pennspots genügen ihrer Hauptanforderung, ruhiger und erholsamer Schlaf. Ja, manche sehen schön aus, aber das verschlaf ich eh…
[Tag 2: Weikertswiese >> Gemünden]
Hikersmidnight bei kurzen Touren Hikers Fate. Müde genug zum frühen einschlafen, aber nicht erschöpft genug um lange durch zu schlafen. Also lag ich tags zuvor noch etwas wach, hörte einen Podcast, erfreute mich daran dass das Schlafsetup toasty genug war, trotz drei Grad angekündigter Tiefsttemperatur. Aber lang genug schlafen um morgens nicht vor Bäckereien, Supermarktöffnungszeiten in Lohr einzulaufen? Um 4.50 bin ich hellwach. Achtish K zu laufen. Viel zu früh. Viel zu dunkel um Zeit flanierend im Wald zu vertendeln. Also rufe ich meine offtrail Morgenroutine ab. Zumindest einen Teil davon. Mache einen Podcast an und drehe mich wieder um. Ich spekuliere - zugegeben in Unterschätzung der Gegebenheiten auf mehr Licht je später der Morgen. Das das gegen erst 8 Uhr der Fall ist merke ich, als ich bereits ein paar Mal meinen Singletrail verloren habe, und bereits seit geraumer Zeit durch den dunklen Wald laufe.
Also räkel ich mich noch von rechts nach links und wieder zurück im Wechsel und höre "Wie wir ticken" - Folgen über Alleinsein, Heimweh und Natur als Heilmittel. Eher unbewusst. Erst als ich das schreibe fällt mir, ganz und gar küchentischspsychologisch informiert, auf dass das sehr alles sehr Mehrdeutig ist. Therapieerfahren lassen ich es jedoch auch einfach stehen, schmunzel es weg und zergrübel es nicht. Manche Volten des Lebens kommen bedeutungsschwer daher habe jedoch keine tiefere Bedeutung als das sie Zeilen füllen oder den Smalltalk mit vermeindlichem Tiefgang bereichern.
Um kurz vor sechs höre ich lautraschelndes Schlurfen und sehe einen sehr hellen Lichtkegel sich meiner Schlafstatt leidlich schnell nähernd. Frühsport. Waldlauf. Erst jetzt fällt mir auf, wie nahe ich am Wegesrand liege. Drehe den Podcast leiser, das etwaige Erschrecken meines Gegenübers möchte ich mir nicht ausmalen. Jemand schlurft schnell an meinem Bett vorbei. Es soll mir das Signal zum Aufbruch sein. Ich verstaue gemächlich meinen Kram, schiebe noch zwei Riegel nach und breche auf.
Im Dunkel durch den Wald laufen rüttelte mal mehr an meinen archaischen Urängsten von nacktem Ausgeliefertsein. Umflossen von tiefem Schwarz eine körperlich spürbare Schutzlosigkeit. Der Hauptsinn der Moderne, das Sehen, reduziert auf ein Minimum, überreizt das Hören voller Adrenalin, der eigenen Herzschlag im Kopf pulsiert und versucht die wenigen unbekannten Geräusche die die nächtlichen Stille kalt klar und deutlich durchbrechen zu deuten. Ich habe immer versucht, die mit eigener Geräuschkulisse zu übertönen, die Stille und die Geräusche des Waldes. Die Angst und die Schutzlosigkeit. Geblieben ist das mit mir Reden und das Kommentieren des wahrnehmbaren Geschehens um mich herum. Hat meine frühkindlichen magischen Phase ein wahres Kompendium an phantastischen Ängsten vor Dunkelheit und der Wesen die sie bevölkert geschaffen, bedeutet erwachsen sein und werden zunächst nur das die Ängste mit anderen Bildern besetzt worden sind. Horrorfilme sei dank, fanden phantastische wie auch archaische Ängste nun ihren Ausdruck in Zombies und Psychokillern. Popkultur überschrieb die ursprüngliche Angst in ein Bild. Was zwar unrealistisch ist, aber dennoch schreckend ist. Das ist nach vielen Nächten im Wald vorbei. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Anspannung weg ist, dass die Erfahrung des Ausgeliefertseins weg ist. Ich werde nicht mit Angstbildern überflutet. Es ist als ob sie nicht da sei, dann und wann schreckt ein Vogel durch meine Taschenlampe auf, die hektischen Flügelschläge erschrecken mich kurz, keine Adrenalinwellen mehr die durch den Körper schwappen. Ich reden mehr laut mit mir selber, kommentiere das erahnte und gesehene im Lichtkegel. Es ist als ob die Selbstbetruhigungsstrategien so tief verinnerlicht sind das sie nicht nur wirken, sondern auch quasi automatisch ablaufen. Als jedoch im schwarzen Nichts das rote Leuchten eine Friedhofskerze in einem Bildstock auf taucht, lasse ich mich kurz von einem Bildersturm aus Blair Witch Project und Adrenalin wegreißen. Die Pumpe pumpt. Diese sogenannte Volksfrömmigkeit, ich verfluche sie. Rot strahlen mich welke Blumen und eine Marienbild im Schwarzen lautlosen Nichts an.
Die Weikertswiese eine Ahnung im Lichtkegel der Taschenlampe. Eine dunkle Lichtung die sich im Schwarz verliert. Trete aus dem Welt laufe parallel zur Stromtrasse. Ein heller Streifen, sachtes Orange am Horizont. Die Ahnung des fernen Sonnenaufgang. Es ist mehr mein Wunsch. Wahrscheinlich eher Lichtsmog Lohrs. Es bleibt Dunkel.
Auf Forstpisten geht es weiten gen Main. Abzweig Steinernes Haus, zwei Kilometer von Lohr. Singletrail. Die Orientierung auf naturbelassenen Wegen stellt sich im Dunkel als schwierig heraus, ich verliere regelmäßig den Weg. Dicke Steinquader liegen im Wald, tastend von Markierung zu Markierung bewege ich mich durch den Wald. Der Kontakt meiner Taschenlampe gibt dann und wann auf - dann ist es stockdunkel. Warum fluchen, wenn ich auch lachen kann. Also lachen. Ein herzliches, belustigtes Lachen. Licht wieder an, Weg trotzdem weg. Der Pfad verwischt im Laub, mehr eine Ahnung, als dass er im schwachen Schein der Taschenlampe sichtbar wäre.
Das Steinerne Haus scheint eine Felsformation zu sein, dunkle massive Schatten, die sich vor mir zwischen schwarzen Säulen auftürmen. Später sagt mir Wikipedia, dass es ein Sandsteinhohlraum und als solcher ein Naturdenkmal ist. Ich schmunzel mir zurecht, dass ich wohl eines der Highlights des Weges im dunklen Morgen einfach nicht sehen kann – Ironie der Geschichte. Ich verliere wieder den Trail. Langsam wird er von einer Dickung begrenzt und erscheint als erkennbare Linie durch den Wald. Durch die schwarzen Wipfel sickert die blaue Stunde. Schwaches Licht fällt auf den Pfad. Ich wage die Lampe auszumachen, sie geht nicht wieder an. Ich denke ich mache mich mal auf die Suche nach einer neuen – vielleicht, nach guten sechs Jahren mal eine Headlamp. Im Herbst/ Winter liegt der offenkundige Nachteil der Taschenlampe an kalten Händen, die Fenix E5 hat keinen Clip. Stolpernd tritt der Trail wieder in meine Aufmerksamkeit.
Mit Erreichen der Schanzkopfhütte ist es endlich hell. An einer Infotafel kratze ich einen Nazisticker ab, summe dabei „Ich hab einen Antifa-Tarifvertrag“, den Chorus von Akne Kid Joes „What the AfD think we do“ und laufe nach getaner Arbeit den so genannten Klapper hinab – einem historischen Hohlweg – nach Lohr. Eingegraben in den Hang bilden hellleuchtenden Laubbäume im fahlen Weiß des Morgens eine durchlässige Tunnelkuppel, deren unteren Hälfe ein dunkler halber Röhrenschnitt ist, die schwarze Erde fällt nass gen Hohlweggrund, Laub sammelt sich in der Sohle, tiefes Rascheln. Eigentümlich brechen flechtenüberzogenen Felsen aus dem Erdreich, dicke Steinklötze ragen aus dem braunen Laub.
In Lohr gibt er verschiedene Resupp-Möglichkeiten. Ich spiele kurz durch was ich noch im Pack habe, horche in Gelüste und Hikerhunger rein – höre nichts. Also gehe ich kurzerhand in den Supermarkt der direkt am Trail liegt. Die Obst- und Gemüseabteilung sieht eher welk aus. Eine Banane und einen Kefir. Für jetzt. Next Stop Bäckerei. Kaffee und irgendeine süße Schweinerei zum tunken in den Kaffee – seit den 1500ish Hextrek-Wanderkilometern in Frankreich weiß ich diese Form des Frühstücks sehr zu schätzen.
Hatte ich mir zunächst sehr romantisch vorgestellt in der – angekündigt – pittoresken Altstadt draußen der Kleinstadt bei Koffein und Teilchen beim aufwachen zuzusehen, obsiegt der Pragmatismus. Die erste Bäckerei wird es. Ich nehme erfreut zur Kenntnis kein Vollautomat, sondern eine Siebträgermaschine, sondiere die Kaffeeauswahl und will mich schon mit mauem Espresso oder Kuhmilch-Cappucchino anfreunden, als folgendes in meine Auge springt: Hafermilch! Ohne Aufpreis! Mein Tag ist vergoldet. Kaffee mit Milch, ohne Blähbauch, leckerer und ein bisschen veagnerer Alltag. Ich strahle „Wie geil ist das denn? Ich hätte gerne einen Cappucchino mit Hafermilch“.
„Sehr gerne“ strahlt es hinter der Theke zurück, „zum hier trinken oder…“
„Ja, hier“ falle ich ihm freudig ungebremst ins Wort. Er lacht es amüsiert – und professionell weg „Gerne, noch etwas“
„Ja, aber das weiß ich noch nicht“
„Lass dir Zeit“
Ich lasse mit Zeit und mich von der Auslage überfordern. Die Nussschnecke mit viel Zuckerguss lacht mich goldgelb an. Ich bekomme noch einen halben Promo-Kreppel. Die Salz-Pfefferbrezel geht noch für später mit. Die kleinen Freuden zelebrierend tunke ich genüsslich den Kreppel in das milchkaffeefarbene Nass, klecker mich und Tisch voll und bin sehr zufrieden. Schicke meiner Frau eine Guten-Morgen-Sprachi für ihren Kaffee im Bett. Seit meiner ersten Fernwanderung nie verloren gegangene Teil der Fernbeziehungspflege on Trail. Ich schaue dem Lieferverkehr beim Liefern zu, der Kleinstadt bei Erwachen.
Die Altstadt Lohrs ist in der Tat pittoresk. Da und Dort Fachwerk, Giebel und Schnitzereien. Mal recht wuchtig, mal schmal und hutzelig. Am Alten Rathaus werden vor den Sandsteinarkaden Flohmarktstände aufgebaut. Die Presslufthämmer des Straßenbaus geben den Takt vor. Die Beschaulichkeit wird übertönt. Jemand lässt sich von seinem Hund auf dem Longboard die Einkaufsstraße herunter ziehen. Geschäfte öffnen langsam. Ich sehe kein Cafe. Gute Entscheidung denke ich mir.
Durch die verwinkelt wirkenden Gassen des alten Fischereiviertels mit dem wuchtigen Fischerbrunnen, ein Sanksteinklotz eines Fischers, der mit Schiebermütze, Bart und muskulösen Armen Fische dem stilisieren Fluten entreißt. Heute wird aus den Fenstern geschaut und Wandernden Guten Morgen lächelnd entgegen genickt, Kinder zur Kita gebracht, der Gehweg gefegt oder der Hund Gassi geführt. Muschel- und Fischergasse, weitere Reminiszenzen an das alte Gewerbe. Es geht Richtung Main.
Auf der anderen Seite des Flusses verkündet am Fuße der Alten Mainbrücke ein Wegzeichen 20 Kilometer nach Gemünden. Die letzten Reste der Stadt ziehen sich bis an die Flanken des Rombergs. Unversehens stehe ich im gleichnamigen Naturschutzgebiet. Sandtrockenrasen und Magerwiese, Stierkäfer-Habitat informiert mich eine Tafel. Eingestreutes Totholz, stehend und liegend dumpf silbrig im weißen Dunst des Morgens durchsetzen die Wiese. Richtung Main abfallend verdecken die letzten Bäume das Gewerbegebiet Lohrs auf der anderen Flussseite eher dezent. Gen Romberg herbstlich bunter Wald, der als gelb-rote Wand die Wiese flankiert. Da und Dort eine Streuobstwiese und etwas lichtes Gehölz. Ein paar Pilz-Shots und andere Bildeinstellungen, ich hadere mit dem Licht. Weißes Streulicht. Landschaftseinstellungen, eher schwierig. Gegenlichtaufnahmen unmöglich. Also mehr den Fokus auf die Details. Ich rolle lächelnd die Augen innerlich, weil ich mir mein Footage vorstelle voller Pilz und Blatt-Detailaufnahmen.
Wichtigeres drängt jedoch in mein Bewußtsein: Ich habe vergessen Wasser aufzufüllen. 300-400ml für 20 k. Und bisher hat sich der Weg nicht durch Wasserreichtum hervor getan. Ja, ist jetzt passiert konstatiere ich schulterzuckend. „Was willste machen. Ich werde was finden und wenn nicht, sind nur 20 Kilometer und schwitzen ist heute eher nicht angesagt“ akzeptiere ich im besten positiven Reframing meinen Fehler. Abgespeichert im Vorbewussten: Nach Wasser Ausschau halten. Wasserfrage damit für das erste geklärt.
Verschwinde wieder im Wald für die nächsten paar Kilometer. Bildstöcke und biblische Geschichten säumen wieder den Weg. Das geht bis zur Wallfahrtskirche Mariabuchen so. Halleluja frotzel ich häretisch, als ich das WC-Schild sehe. Sehr weltlich nutze ich die sanitäre Infrastruktur für Pilger*innen für Camelup und Waterrefill. Bestaune den Pilger:innen-Pomp der aufgefahren wird: Kerzen, Marienbildchen - gesegneter Nippes in meinen atheistischen Augen. Verweile kurz an jener Tafel, an der die Kirchengemeinde jenen Schäfchen gedenkt, die sich für Reichskanzler und Kaiser in spe haben 1870 auf die Schlachtbank nationaler Einigkeit führen lassen. Wie vermessen diese Repräsentanz der göttlichen Macht auf Erden doch ist, wenn sie gemeinsame Sache mit der weltlichen Macht macht – und statt ihre Gläubigen vor Tod und Verderben zu schützen führt sie sie mit in eine Hölle aus „Blut und Eisen“, die dann später heldenhaft und sehr weltlich besungen wird. Eine unscheinbare Tafel mit Eisernen Kreuzen und verwaschenen Namen. Noch gute 15 Kilometer bis Gemünden.
Ein seichter Aufstieg um alten Weiler Rettersbach. Diffus dumpf ist der Wärme des waldenen Farbenspiels genommen, in kaltem Gelb klebt das Laub auf geschotterten Forstpisten. Der Himmel ist ein flächiges weißgrau. Die paar Höhenmeter sorgen für genügend Wärme, als dass ein paar Klamotten an der nächsten Rastbank ausgezogen werden. Ausblick auf dunkles Spessartwogen, eine flach gen Tal abfallende Pferdeweide malerisch in die Landschaft komponiert.
Bis Halsbach bleibt das die Choreographie des Trails: Ein Paar Kilometer Feld und Wiese unter konturlosem Himmel, vage bleibt im weißlichen Licht die Landschaft. Oder Wald, Wald dessen Wärme vom grau-weiß geschluckt worden ist. Gut weglaufbar auf Forstpisten und Wiesentrails, immer den Markierungen hinterher, die in prämierter Regelmäßigkeit an die Bäume genagelt, Orientierung geben. Gibt sich das Denken und Fühlen der Gefälligkeit des Trails hin. Ich spiel mit Gedanken oder der Kamera, spreche mit Kühen oder mit Entdeckungen am Wegesrand, Filme mehr um mich zu beschäftigen, weil es ansonsten nur Laufen ist. Sinnfällig beim Wandern. Aber ich habe nichts zu zerdenken, mein Kopf und meine Seele brauchen aktuell keine besonderen Raum den sie im Idealfall kathartisierend durchschreiten müssen. Ich bin leidlich sortiert on Trail gegangen. Ein Kopf leer laufen ist gar nicht das Ziel gewesen, vielmehr die Lust Draußen zu sein, das Draußen zu nutzen um was neues zu schaffen – Text und Bild. Also laufe ich ziemlich leer einfach weiter.
Oberhalb des Mündung des Ziegelbachs in den Main befindet sich die Klosterruine Schönrain. Etwas hin und hergerissen, aus der Waldmeditation der letzten Kilometer gerissen, stehe ich vor einer Wiese hinter der eine wuchtigen fensterlosen Wand recht unvermittelt steht. Ich bin kein Kulturwanderer, merke ich immer wieder. Infotafeln nehme ich meist zwar mit, überfliege sie jedoch nur, Ruinen und ähnliches schaue ich mir mehr aus der Distanz an, als sie zu besuchen. Demnach hadere ich einen Augenblick begutachte, das mir dargebotene aus der Distanz um schließlich meiner Neugierde doch nachzugeben. Das es einen Aussichtspunkt gen Maintal gibt übersehe ich.
Wieder Wald.
Oberhalb von Massenbuch eine jener Landmarkinseln im Wald. Wiesen, Felder, Äcker. Der Blick öffnet sich Richtung Maintal, der Spessart fällt seicht hüglig gen Ort und Fluss. Fünfish Kilometer noch. Ich habe keine Lust mehr.
Die Psycho-Meteologie der Grauzustände kennt verschiedene Abstufungen. Als Hashtag Moody wabert es mystisch durch den Wald, oder erschaudert in horroresken Bildkomependien. Wenn es gleißend Warm durch den Nebel bricht und das Grau von Gelb und Wärme verdampft wird, der Widerstreit der Farben. Wenn das Grau flächig in Tälern hängt, oder in bewaldeten Bergflanken in Wolkenfetzen sich verfangen zu scheinen hat. Grautönungen, die nicht grauen. Dieser pastöse Filter jedoch eines flächigweißen Hochnebelhimmels, der alles warme aus dem Farbspektrum filtert, Lumen nimmt und die Reste kalt, diesig, dunkel auf die Erde gießt, dass schafft ein Grau das graut. Die Lustlosigkeit ist auch ein Seinszustand, den die äußeren Umstände gebieten. Ich esse meine letzten Chips, mäkle etwas für die Psychohygiene in die Kamera und besinne mich auf das was ich gut kann: laufen. Noch Vier Kilometer.
Jedes Trailende hat so seine Eigenheiten, meist ein Zusammenspiel aus Wegbeschaffenheit und den inneren Zuständen die die letzten Meter auf diesem Weg verbringen. Der Spessart fällt, im Vergleich zur Gesamtstrecke, dann doch erstaunlich steil und lange ins Maintal. Zumindest kam es mir so vor, der Abstieg wollten nicht enden. Gefälliger Waldweg. Demnach kann es auch sein, dass der Abstieg gar nicht so lang war, die konkrete Topographie von Unlust überschrieben wurde. Nur war der Weg, dieser gefällige Waldweg auf einmal unvermittelt zu Ende. Ich stehe direkt an einer Straße, Verkehr donnert an mit vorbei, eine Wiese, eine Böschung hinter sich wahrscheinlich der Fluss versteckt, ein riesier Brückenklotz und Gemünden mit Burgruine im Hang auf der anderen Seite. Konstaniert und überrumpelt stehe ich am Straßenrand.
Gewohnt, dass Ortschaften sich durch Zersiedeltes Umland oder Naherholungsinfrastruktur ankündigen, ist dies hier diesmal nicht so. Als ob ich Überprüfen muss dass die gemachte Erfahrung real ist, zücke ich mein Handy und schaue noch einmal auf der Karte nach. Alles hat seine Richtigkeit, sagt die Streckenführung. Orientiert dennoch orientierungslos wende ich mich Richtung Brücke.
Ein Sinnbild der eben gemachten Erfahrung, steigt sie so ausladend und steil auf, dass ab einem bestimmten Punkt es so scheint als verliere sich die Brücke im flächig grauen Horizont. Es gibt nur die Straße und diese weißlich graue Fläche in die erstere führt. Damit es surreal bleibt, steht kurz vor der Horizontlinie, die ins Nichts führt ein gelbes Ortsschild. Wie die Auflösung einer Spannung ins Groteske. Ballardesk, wie ein Szenenbild aus Concrete Island. Nur ohne Verkehr.
In langen Kurven entlässt mich der Trail der von der Brücke und führt Richtung Altstadt. Der Spessart-Tourismusverband kündigte auch diese als pittoresk an. Profaneres als die Schönheit mainfränkischer Kleinstädte treibt ich um: Trailheadsuche.
Ich habe mich daran gewöhnt, dass es Deutschland keine Trailheadkultur gibt. Und dennoch suche ich sie immer wieder am Beginn und am Ende. Ikonisch Bilder sind sicherlich der augenscheinlichste Nutzen. Nicht zu vernachlässigen erscheint mir auch, dass es uferloses ausgleiten in Trailheadloser Unbestimmtheit bleibt am Ende – oder am Anfang. Robert Moor sagt in seinem Buch „Wo wir gehen“, die „Freiheit des Pfades ist flussartig, nicht ozeanisch“, umso erstaunlicher ist wie oft wir vom Trail gespült werden vom Weg in die Weglosigkeit. Sinnbildlich mag dass folgerichtig sein, tauschen wir doch die „diskrete Minimierung von Möglichkeiten“ durch den Pfad gegen die ozeanisch anmutenden Zumutungen und Freiheiten des Off-Trail-Lebens wieder ein. Obschon ein ritualisierbares hinausfließen aus dem Trail wünschenswert ist, ist es oftmals ein rauspülen aus eben jenem. Und so dümpelte ich ohne offizielles Ende in einer Zwischenzone aus auf dem Trail und schon nicht mehr. Ein Unort. Die GPXies sagten das der Trailhad in einer Pizzeria zu verorten sei. Ich schaue mich etwas auf dem Platz und seiner Nachbarschaft um, die letzte Markierung liegt 100 Meter hinter mir. Brückenkopf über einen Mainnebenfluss. Alles irgendwie unbefriedigend. Also suche ich das Ende des Trails in mir. Genau da wo ich spöttisch und schulternzuckend in die Kamera spreche „Kein Trailhead“ ist der Spessartweg Eins für mich zu Ende.