3. Etappe: Stáloluokta bis Sáltoluokta
Ich bleibe zwei Nächte und genieße die Sauna. Kaufe Fisch und Brot in der STF Stuga, sowie den Rest meiner Verpflegung im Parfas Kiosk. Für die geplanten 100km quer durchs Padjelanta und den Sarek packe ich sechs Tage Essen ein. Sicher ist sicher.
Ich folge einem Pfad, der in ost-südöstlicher Richtung aus dem Samidörfchen hinausführt. Weiss nicht, ob ich was falsch gemacht habe oder nicht aber schon nach ein paar Kilometern wird das teilweise zu einer ziemlichen Kletterei. Bleibe in gutem Abstand nord-nord-westlich der größeren Seen, bis ich mich dann doch entschließe einfach quer zwischen den Seen, südlich des Njallajávrásj Richtung Unna Liemak zu laufen, den ich an seinem Nordhang passiere. Mein Ziel ist der Álájávrre. Kurz davor steht eine Renvaktarhütte, die ist aber verschlossen. Ich folge dem See auf seiner Nordseite. Das ist zuweilen recht mühsam. Und eintönig. Kurz vorm Nuortap Rissávarré habe ich keine Bock mehr und baue bei Wind und Sonnenschein das Zelt auf. Morgen ist auch noch ein Tag!
Gut ausgeschlafen umrunde ich den Nuortap im Süden und steige zum Álggajávrre ab. Dort treffe ich auf zwei weitere Wanderer, die gerade dabei sind, das Boot klarzumachen. Ich darf einfach mitfahren und spare mir so die Ruderei. Der Rest des Tages besteht hauptsächlich darin, mich durchs Gestrüpp und die Weiden des Álggavágge zu kämpfen. Der Weg wird zwar immer besser und besser, sumpfig zwar aber besser, doch irgendwann hab ich genug und schlag mein Lager auf, nich zuletzt weil ich eine Stelle gefunden habe, die dann doch etwas besser windgeschützt war. Ich spaziere etwas herum und entdecke, dass jemand direkt auf den Weg gesch**en hat und obendrein noch einen massiven Berg Klopapier auf seine Exkremente geklebt hat. Was für Arschlöcher da so unterwegs sind! Mein Aussicht ist trotzdem unschlagbar, ich blicke direkt aufs Sarekmassiv!
Der Weg entlang des Tals ist wirklich sehr gut, die Flussquerungen sind auch easy und schon bald lasse ich das Sarekmassiv hinter mir und erreiche Skárjá. Ich treffe ein paar Wanderer, die wohl aus dem Basstavágge kommen. So langsam bekomme ich ein mulmiges Gefühl, weil ich auf der Karte sehe, wie steil es bald werden wird und aus der Ferne gefällt mir gar nicht, was ich sehe. Ich bin auf dem Weg Richtung Snávvávágge. Hinter mir braut sich ein Unwetter zusammen. Der Wind frischt auf und eine Regenwand rollt auf mich zu. Na toll! Die steile Stelle ist tatsächlich recht steil, konkret ist ein recht überwachsener Steilhang zu passieren. Das ganze bei Regen zu machen wäre sicher kein allzu freudiges Ereignis, also lege ich noch einen Zahn zu. Hätte ich mal vorher bloß nicht so viel getrödelt! Trotzdem bin ich auf der Suche nach dem spöksten, der auf der Karte eingezeichnet ist und bei dem ich zu Hause schon die Legend darum nachgelesen habe. Schließlich entdecke ich ihn auch. Oben an der Hochebene angekommen, begegnen mir zwei Typen, die in anderer Richtung unterwegs sind. Sie wollen noch „bis runter“. Ich deute auf die Regenwand aber die lassen sich nicht beirren. Nicht mein Problem! Ich treffe auf eine Mutter und ihren kleinen Sohn. Die haben sich den besten Platz da oben geschnappt, die einzig wirklich windgeschützte Stelle weit und breit. Na gut, ich werd‘s wohl hoffentlich überleben und schlage heldenhaft mein Zelt ein paar hundert Meter weiter direkt am See auf.
Obwohl es grau in grau ist und es immer wieder etwas nieselt, bleibt das Wetter eigentlich ganz okey. Der Morgen ist trotzdem recht frisch, hauptsächlich wegen einer etwas steiferen Brise. Ich mache mich auf den Abstieg ins Rappadalen und kann es kaum erwarten einen Blick auf den rovdjurtorg zu werfen. Tiere seh ich aber leider keine, die Kulisse beim Abstieg vor dem Stuor Skuorki ist trotzdem überwältigend. Vielleicht sogar ein bisschen furchteinflößend. Unten im Tal mach ich zwischen dem Gestrüpp und den Büschen eine Pause und gerade als ich los will, kommt mir ein älterer Mann entgegen. Er trägt einen monströsen Rucksack und stützt sich bei jedem Schritt auf einen schweren Holzstab. Eine Mischung aus Gandalf und Nikolaus. Wir kommen ins Gespräch. Er kommt aus Berlin und ist 75 Jahre alt. Er hat Essen für drei Wochen dabei, sein Rucksack wiegt über 35kg. Das ganze Unternehmen dokumentiert er für seinen YouTube-Kanal. Er beginnt zu erzählen, und so erfahre ich, dass er diese Tour in Gedenken an seine verstorbene Frau macht. Sie wären damals Ende der 80er mit Essen für drei Wochen in den Sarek aufgebrochen, mit nichts als einer groben Skizze in der Hosentasche, die er aus einem Buch abkopiert hatte. Währen der Tour wollte seine Frau die Scheidung einreichen, im Zug nach Hause hätten sie aber schon wieder den nächsten Trip geplant. Am Alep Vássjájågåsj drehe ich gen Westen ab, verlasse das Tal und sehe zu, dass ich an Höhe gewinne. Unterwegs hatte ich mir den Bauch schon ordentlich mit Heidelbeeren vollgeschlagen, aber nun stand ich mitten in Unmengen von hjortron, die ich auf gar keinen Fall einfach links liegen lassen kann. Also stapfe ich durch die Sümpfe und schlage mir die Wampe voll. Ich passiere ein kleines Häuschen und weiter oben, sobald ich oberhalb der Baumgrenze bin, bau ich mein Zeltchen auf. Wie lange es wohl noch bis zum Skierffe ist?
Die Sache mit dem Skierffe ist nämlich so, dass ich schon zwei Mal auf dem Kungsleden an der Stelle stand, an welcher der Trail zu eben jenem abzweigt, jedes Mal das Wetter aber so schlecht war, dass sie die Mühe einfach nicht gelohnt hätte, einen Umweg zu machen. Three times a charm, right? Als ich aufwache, scheint die Sonne. Mein Herz schlägt höher. Kurz vor einer Bachquerung treffe ich einen netten Typen, der mir den Rat gibt, mich etwas südlich zu halten und dann dort den Steinmännchen zu folgen, das wäre eine sichere Route. Gesagt, getan. Ein paar Stunden später sehe ich das Rappadelta, den Nammatj und natürlich den Skierffe direkt vor mir. Das Wetter ist nach wie vor gut. Ich kann es kaum fassen. Oben angelangt ist da ein holländisches Pärchen, das eine Fotosession hinlegt und selbst wenn ich über ne halbe Stunde warte, geben die den Platz nicht frei und so sind auf den meisten meiner Fotos zwei fremde Leute drauf, die nicht müde werden vor dem spektakulären Hintergrund zu posieren. Nervt gar nicht! Zum großen Staunen anderer Wanderer, folge ich nicht dem Weg Richtung Kungsleden, sondern drehe nach Norden ab, um den Kungsleden erst etwas weiter nördlich zu treffen, und zwar kurz vor der Bootsanlegestelle am Sitojaure. Ich zelte aber ein oder zwei Kilometer vorher und werde von einer Herde Rentiere belästigt, die die halbe Nacht direkt neben meinem Zelt vor sich hin schnauben und kauen.
Der Rest dieser Etappe verläuft erwartungsgemäß relativ unspektakulär. Am Sitojaure kochen wie immer die Gemüter ob der Preise für die Überfahrt. Eine deutsche Familie mit ihrem Teenie-Sohn beschwert sich lauthals. Um von der Thematik abzulenken verweise ich auf den fjällurskog, den sie gleich durchwandern dürften, das wäre „einer der letzten echten Urwälder Europas“, worauf der Kleine einfach nur mit „Nö“ antwortet. Mehr als ein verstörtes Augenzucken bringe ich als Entgegnung nicht zustande.
Als ich an der fjällstation die Tür öffne, sitzt eine Reihe Menschen vor dem Kamin und dreht ihre Köpfe zu mir. „Die kenne ich doch irgednwoher!“ schiesst es mir in den Kopf. Nur woher? Ich sehe es ihren Augen an, dass sie sich vermutlich gerade genau dieselbe Frage stellen. Wir schweigen uns dennoch an und ignorieren uns lieber.