Meine erste Tour vor Jahren war eine Rundtour ab Grövelsjön (SE) - einmal um den Rogen herum. Ich weiß noch, wie ich an der Raststelle Reva am Nordwestzipfel des Rogen, direkt an der schwedisch-norwegischen Grenze, eines abends mit drei paddelnden Dänen am Lagerfeuer, das mir dabei helfen sollte, meine ledernen Hanwag wieder trocken zu kriegen, zusammensaß und sie zu dem mir bevorstehenden Streckenpart sagten: rocky, very rocky!
Die folgende Tagesetappe hatte mir alles abverlangt - was nicht nur dem damals viel zu hohen Gewicht in und meines Deuter Rucksacks geschuldet war. Mit dem Grenzübertritt wechselte ich vom Rogen Nationalpark in den Femundsmarka Nationalpark (NO) und in meiner Erinnerung änderte sich die Landschaft abrupt. Ab jetzt war plötzlich alles anders... ja, auch rocky, very rocky! Bergwald, Seen, auch mal Sumpf, Moränenlandschaft. Die Gelände in dem ich mich bewegte, empfand ich als so ursprünglich, unwirtlich und wild, dass ich auf gar keinen Fall hier die Nacht verbringen wollte. Wenn ich irgendwo auf meiner Tour einen Bären zu Gesicht bekommen sollte, da war ich mir sicher, dann hier. Mein Ziel waren die Oasen, eine kleine Ansammlung von vom Wind verkrüppelten Bäumen an einem Bach am Fuß des Berges Stor-Svuku.
Kurz bevor man den Bergwald verlässt und es den Hang hinauf geht zu den Oasen, passiert der Weg eine einsame Hütte. Ich weiß noch, wie ich mit meiner Sorge, ich könnte es evtl. nicht mehr rechtzeitig hier herausschaffen, plötzlich auf diese Hütte traf und auf einer Bank daneben saß ein alter Mann. Er würde jedes Jahr hier Urlaub machen, meinte er. Auf mich wirkte diese Szene in dieser Situation völlig surreal. Aber kurz darauf war es geschafft, ich war dem Bergwald entronnen. Ich blickte von dort oben über die Femundsmarka und war sehr, sehr froh, nicht irgendwo dort unten übernachten zu müssen. Die Schrecksekunde am folgenden Morgen verschuldete übrigens kein Bär - sondern ein Rentier, das über eine meiner Zeltleinen gestolpert war!
Seit damals wollte ich immer mal wieder in die Femundsmarka zurück - diese Landschaft war einfach zu faszinierend. Und dieses Jahr sollte es soweit sein.
Die Eckdaten:
Reisezeitraum war 17.-26.9.18. Anfahrt und Rückfahrt jeweils etwa 25 Std. Dazwischen sechs Tage wandern.
Ich bin ca. 100 km (lt. Tracking alle 20 Min.) gelaufen und hatte 12,8 kg bei einem base weight von 5,2 kg dabei.
Packliste siehe hier: klick.
Eine Karte mit den gesetzten Trackingpunkten. Ganz oben der Start in Brekken, auf der linken Seite ist von der Bildmitte bis zum unteren Rand der Femundsee zu sehen, auf der rechten Seite knapp unterhalb der Bildmitte der Rogen. Die letzten paar Kilometer sind nicht mehr drauf. Der letzte Trackingpunkt am unteren Bildrand ist in Sylen an der Nordspitze des Sees Grövelsjön gesetzt. Da ging es dann nur noch westlich des Sees über den Berg rüber.
17.9. Anreise
Ich versuche prinzipiell so wenig wie möglich zu fliegen, was hauptsächlich ökologischen Gründen geschuldet ist. Ein weiterer Grund, der ohne den anderen auch vernachlässigbar wäre, ist dass ich mich in Bodennähe einfach wohler fühle. Bislang hatte ich bei all meinen Skandinavienreisen zumindest bei einem Teil der An- oder Rückreise noch auf Luftfahrt gesetzt. Diesmal will ich es komplett ohne probieren.
Noch bevor ich am Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin in meinen Bus klettere, der erste Schadensfall. Ich bin spät dran, der Fahrer wartet schon auf mein Gepäck und hektisch und ohne Gefühl zerre ich den Riemen an meinem G4 oben fest - mit einem krack hat die Schnalle das Zeitliche gesegnet. Wie heißt es doch auf der Labu-Seite nochmal: "Du solltest sorgsam und vorsichtig mit Deinem Rucksack umgehen, damit er ein langes Wanderleben führen kann."
Per Flixbus geht es auf die Fähre ab Rostock, weiter nach Kopenhagen, dann Malmö, Oslo. Viermal Passkontrolle: Ausreise D, Einreise DK, Einreise SE, Einreise NO. An diese wieder eingeführten Kontrollen muss ich mich erst noch gewöhnen.
18.9. Anreise / Tourtag 1 ab Brekken
Ankunft in Oslo 6:20. Zwei Std. später Weiterreise per Zug, Umstieg in Hamar, ab Røros per Bus bis nach Brekken. Ankunft dort 14:30.
Im Eingangsbereich des Coop an der Endhaltestelle in Brekken begrüßt mich ein ausgestopfter Bär. Hier lasse ich mir noch mein SJ-Ticket für den Teil der Rückfahrt von Grövelsjön bis Linköping ausdrucken. Die Internetgeschwindigkeit als langsam zu bezeichnen wäre beschönigend. Schwierigkeiten auf der norwegischen Tastatur bereitet die inflationäre Verwendung von Umlauten in meinem Email-Passwort, aber der nette und engagierte Mitarbeiter gibt sich größte Mühe, die passenden Tastenkombinationen herauszufinden. Noch eine Postkarte an meine Liebsten, dann den Rucksack geschultert und los gehts.
Die Hauptstrasse entlang in Richtung Westen, aus dem Ort hinaus. Irgendwann zweigt rechts ein kleiner Wirtschaftsweg ab und verläuft parallel. Gerade eingebogen, an einer Übersichtskarte, stelle ich meinen Rucksack auf der Bank davor ab und ruckle noch ein paar Sachen zurecht. Später fällt mir auf, dass ich bei dieser Aktion einen kleinen S-Biner verliere.
Parallel zum Wirtschaftsweg verläuft der Fluss Bora. An der Stelle, an der auf der Karte ein Pfad eingezeichnet ist, der auf der anderen Seite den Berg hinaufführt, gibt es eine Brücke. Allerdings nur eine halbe. Die zweite Flusshälfte sieht zwar nicht besonders tief aus, aber ich habe noch keine Lust auf nasse Füße. Ich laufe den Wirtschaftsweg etwas zurück, schlage mich wieder zum Fluss durch und stoße auf einen Flussabschnitt, an dem ich hoffe, fündig zu werden. Nach etwas Hin- und Hergesuche entscheide ich mich dafür, hier eine geeignete Stelle zu finden. Ein erster beherzter Sprung auf einen größeren Felsen bringt mich dem anderen Ufer ein klein wenig näher. Zwei weitere Sprünge braucht es noch und ich bin drüben.
Die ganze Aktion hat mich 45-60 Min gekostet und als ich mir den Teil, den ich hätte furten müssen, von dieser Seite nochmal anschaue, komme ich zu dem Schluss, dass Furten ganz klar das kleinere Übel gewesen wäre. Nasse Füße zu bekommen wiegt das, was bei den drei beherzten Hopsern schief gehen hätte können, locker auf.
Ich folge dem Pfad, der von hier in Richtung Johaugahøgda geht, dessen Hang ich nach oben möchte und tauche sogleich in eine wunderbare, herbstliche Fjälllandschaft ein.
Es geht bald bergan, zuerst gemächlich, dann steiler. Ich lasse die Baumgrenze hinter mir und mich umweht ein scharfer, kalter Wind. Jetzt würde es immer nur noch höher gehen und ich glaube nicht, dass ich weiter oben noch eine geeignete Campstelle finde. Ich steige wieder etwas tiefer und tue mich schwer, ein passendes Plätzchen zu finden. In einem lichten Wäldchen werde ich schließlich fündig. Hier hoffe ich, etwas windgeschützt zu sein. Der Aufbau gestaltet sich schwierig - es mangelt an Routine. Irgendwann steht mein Zelt, aber es windet ganz schön und als es schon dunkel ist, bin ich so unzufrieden mit dem Aufbau, dass ich nochmal rausgehe, um Steine für das Beschweren der Heringe zu suchen. Der Schein meiner Stirnlampe ist viel zu schwach, meine Suche bleibt erfolglos und ich belasse es dabei, die Heringe neu zu setzen. Irgendwann regnet es eine Weile leicht und ich schlafe mäßig gut.
19.9. Tourtag 2
Nach der Morgendämmerung wälze ich mich noch etwas hin und her und krabbel um 7:30 ins Freie. Jetzt, bei Helligkeit, sehe ich, dass ich mir meine Steinesuche bei Dunkelheit auch sparen hätte können - es gibt hier schlicht keine geeigneten Exemplare. Vermutlich war der nächtliche Wind auch schwächer, als es mir das stetige Rascheln des Spinnaker meines Spinnshelters glauben gemacht hat. Das Zeug raschelt einfach ohne Ende. Ich lasse mir Zeit und komme erst gegen 10 Uhr los - blauer Himmel, Sonnenschein und ein kräftiger Wind.
Es geht immer weiter den Berg hoch, irgendwann überquere ich den flachen Pass zwischen dem Viglpiken und einem Vorgipfel. Kurz danach nehme ich in einiger Entfernung, etwas oberhalb von mir einen Wanderer wahr. Oh, nein, andere Menschen!!! Allerdings nimmt mich besagter Wanderer überhaupt nicht wahr. Oder er will nicht Kurz darauf schon die nächste Begegnung. Ein Jäger, sein Gewehr war... wie sagt man, geöffnet, aufgeklappt? Was er jage, frage ich. Vögel, antwortet er. Ob ich welche gesehen hätte, will er wissen. Ich verneine und jeder geht wieder seines Weges. Bald ist auch schon der Bergsee Vigltjønna zu sehen, an dessen Ufer zwei Hütten liegen.
Eine der Hütten ist verschlossen. Die zweite ist von der Statskog und offen. Hier lege ich eine Rast ein. Dort treffe ich auf einen älteren Herrn, der in neongelber Signalweste im Auftrag von Statskog durch die Berge streift, um Jäger zu kontrollieren und hier ebenfalls seine Mittagspause verbringt. Zu der Zeit werden in dieser Gegend Vögel gejagt. Wie die bejagten Vögel auf Englisch heißen, weiß er nicht und die Jäger, die ich treffe, vergesse ich zu fragen.
Ich gehe bald weiter den Berg hinauf. Ich möchte heute unbedingt noch zwischen dem Tverrviglen und dem Støvelbekkhøgda hindurch, die Grenze zum Nationalpark Femundsmarka überqueren und dann schauen, wie weit ich noch komme. Vier bis fünf Mal auf dem Weg dort hoch fallen Schüsse, einmal auf meiner einen Seite, dann auf meiner anderen. Etwas gewöhnungsbedürftig. Ich muss an den Kontrolleur mit der neongelben Signalweste denken und daran, dass ich in dieser Situation meine schwarzen Klamotten gerne gegen etwas Buntes eingetauscht hätte. Mich irritiert auch, wie groß so ein Gewehr ist, das es zur Vogeljagd braucht. Davor, dass einen Tag nach dem Ende meiner Tour im Nationalpark die Elchjagd beginnt, hatte mich die Nationalparkverwaltung im Vorfeld gewarnt. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, wie groß die Schusswaffen sind, die dafür eingesetzt werden...
Irgendwann bin ich oben und kreuze den markierten, in Richtung Osten einen Schlenker über die schwedische Grenze machenden, Pfad zwischen Vauldalen und Ljøsnåvollen, sowie die Grenze zum Nationalpark Femundsmarka. Ich überquere den Ljøsnåa, lasse ihn rechts liegen und halte mich links am Hang. Bloß nicht zu weit runterkommen, denke ich mir. Das muss ich nachher nur alles wieder hoch.
Der Weg ist mühsam und zieht und zieht und zieht sich und irgendwie weiß ich gar nicht mehr so recht, wie weit ich eigentlich schon gelaufen bin. Ich bin mir aber sicher, dass ich noch ein gutes Stück weiter den Hang entlang muss, bevor ich in die Ebene hinabsteige, wo das Vorwärtskommen aufgrund von Steinen, Sümpfen und Seen noch mühsamer werden wird. So langsam wird es aber Zeit, nach einem Plätzchen für die Nacht Ausschau zu halten und um etwas windgeschütztes zu finden, steige ich dafür dann doch tiefer. Ich werde einigermaßen schnell fündig, nur geht der Zeltaufbau noch immer alles andere als routiniert vonstatten. Aber am Ende steht das Teil gut abgespannt, was mir bei einer 50 km/h Windgeschwindigkeit und "heavy rain" beinhaltenden Wettervorhersage ganz lieb ist.
20.9. Tourtag 3
Die Nacht empfinde ich als ungemütlich (viel Wind, gegen 1:00 ein paar einzelne Regentröpfchen - von wegen "heavy rain"), aber das Spinnshelter steht auch am Morgen noch stramm da. Nach der Dämmerung bleibe ich noch etwas liegen, quäle mich um 8:00 nach draußen und lasse mir wieder Zeit und erst als die Sonne über den Bergrücken kommt, kehren die Lebensgeister zurück.
Um 10:00 breche ich auf. Vor dem Loslaufen versuche ich noch, mich zu orientieren, damit ich weiß, wie lange ich noch so am Hang entlanglaufen muss, aber was ich sehe, bekomme ich mit meinen spärlichen Kartenausschnitten nicht gedeckt. Ich bin mir sicher, dass ich noch weiter muss und laufe erstmal weiter und fotografiere und bin ganz geflasht von dem weiten Blick, der sich mir über die Ebene der Femundsmarka bietet.
Immer wieder nehme ich flüchtig meine Kartenausschnitte zur Hand und versuche erfolglos die markanten Punkte einzuordnen. Das Ganze beunruhigt mich zunehmend und irgendwann setze ich mich, bereite sämtliche Kartenausschnitte vor mir aus und bewahre sie mit so viel Steinen vorm davon fliegen, dass von Karte kaum mehr etwas zu sehen ist. Ich sitze da und überlege und überlege und komme nicht weiter. Ein Stück weiter sehe ich einen Rentierzaun. Das könnte die Grenze zu Schweden sein, denke ich mir. Also dort hin und dann von da nochmal gucken. Erste Gedanken kommen auf, wie ich weiter vorgehe, sollte ich die Frage der Orientierung nicht auf die Reihe kriegen.
Am Rentierzaun angekommen wieder das gleiche Spiel: Kartenausschnitte ausbreiten und haufenweise Steine drauf, damit der heftig wehende Wind nicht alles hinfort weht. Ich sitze lange da und gucke, probiere, überlege und ringe mit mir. Meine Enttäuschung ist riesig, als ich mir eingestehe, dass das so nichts werden wird. Aber die Kartenausschnitte alleine reichen einfach nicht aus, um sie in das Große Ganze einzuordnen. Mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln kann ich auf gar keinen Fall weglos durch die Femundsmarka laufen. Ich ärgere mich über mich selbst und darüber, dass ich nicht mehr Kartenausschnitte oder sogar eine richtige Karte dabei habe. Die paar Gramm zu sparen hat sich mal so richtig gelohnt
Neuer Plan: Zurück bis zu dem gestern gekreuzten markierten Pfad, diesem nach Ljøsnåvollen folgen und von da einen weiteren markierten Pfad in Richtung Süden. Südlich des markierten Pfades zwischen Reva und Svukuriset, den ich, wie eingangs beschrieben, vor Jahren gegangen bin, sollte ich mich aufgrund markanterer Berge wieder besser orientieren können. Ich hoffe darauf, dort wieder zu weglos wechseln zu können. Der oben am Hang stetig wehende Wind ist kalt und unangenehm. Ich wechsle daher nach unten in die Ebene - auch, weil ich Lust auf etwas anderes habe, wo ich nun schon wieder zurück muss. Das Umlaufen der Sümpfe und Moräne rauf, Moräne runter ist zwar anstrengender, dass sich die Abwechslung durch den Landschaftswechsel positiv auf meine Stimmung auswirkt, wiegt aber deutlich schwerer.
Ich finde irgendwo ein schönes Plätzchen für mein Zelt, mit weichem, ebenen Untergrund. Der Sonnenuntergang ist herrlich. Die Nacht wird kalt (das Thermometer zeigt irgendwann 1 Grad an) und ich ziehe so gut wie alles an, was ich an Klamotten zur Verfügung habe. Zwar rüttelt der Wind auch in dieser Nacht wieder an meinem Zelt, dennoch wird es die beste der ganzen Tour und ich schlafe richtig gut!
21.9. Tourtag 4
Ich wache um 6:00 auf, bleibe noch bis 7:00 liegen und komme um 9:30 los. Bald stoße ich auf einen Wildwechsel. Ich wundere mich noch, wie ausgeprägt dieser doch ist, da wird mir klar, dass ich auf einen Pfad gestoßen bin. Auch wenn ich wegloses Gehen gerne mag, nehme ich jetzt die Gelegenheit dankbar an - zumindest, solange der Pfad in die Richtung führt, in die ich will. Zwischenzeitlich hat es angefangen zu regnen. In einem Wäldchen treffe ich auf zwei Jäger mit Hund, ebenfalls auf Vogeljagd. Die beiden bestätigen mir, dass dieser Pfad irgendwann auf den markierten Pfad trifft, den ich suche. Kurze Zeit später tauchen Häuser auf, ich bin in Ljøsnåvollen gelandet.
Hier gibt es eine große Tafel mit Informationen zum Nationalpark sowie einer Karte mit den markierten Pfaden. Diese fotografiere ich ab, womit sich mein Orientierungsproblem erstmal erledigt hat. Als ich gerade aufbrechen möchte, kommt ein aufgeweckter Hund zu mir her gerannt, um mich zu beschnuppern. Eine Gruppe von vier bis fünf Jägern mit weiteren Hunden marschiert grüßend an mir vorbei ins Dorf hinein. Ich mache mich auf in Richtung Muggsjølia. Der Pfad verläuft über eine spärlich bewachsene Hochebene und Wind und Regen peitschen mir ins Gesicht. Schuhe und Socken sind schon längst durchnässt. "Wind, Regen, nass, kalt, bäh" schreibe ich an dieser Stelle in mein Tourbuch. Plötzlich suppt ein Schwall Wasser in meinen Überhandschuh und mein dünner Fleeceliner darin ist sofort patschnass. Mir fällt ein Zitat von Simon ein, der mit dem Buch Norwegen der Länge nach. In irgend einem Tourbericht auf ODS schrieb er mal: "Manchmal muss man dem Wetter eine Chance geben."
Mir wird klar, weshalb mich das Gehen auf markierten Pfaden unter anderem oftmals nervt: Die Wege sind so ausgelatscht, dass man nur noch über Steine geht. Das ist häufig wesentlich anstrengender, als der weiche Untergrund beim Querfeldeingehen. Wegen der auf den Pfaden freiliegenden Steinen muss man bei jedem Schritt achtsam sein. Beim weglosen Gehen sind die Steine oftmals überwachsen und dieser weichere Untergrund verzeiht auch mal zwei, drei unachtsame Schritte. Ich finde, man sieht so mehr von der Landschaft. Zu guter Letzt kann der festgetretene Untergrund auf Pfaden nicht viel Wasser aufnehmen, so dass sich bei Regen hier als erstes Pfützen bilden. Ach ja: Hab ich schon erwähnt, dass ich gerne weglos gehe?
Endlich eine Hütte, alles verschlossen. Daneben vier weitere Hütten. Eine davon mit Vordach. Eigentlich will ich hier nur eine Rast einlegen. Muggsjølia lese ich auf einem Schild über dem Eingang. Die Tür ist offen, auch dies ist eine offene Hütte der Statskog. Jeder ist eingeladen, hier Rast zu machen oder zu nächtigen. Nach längstens einer Nacht muss man weiterziehen. Der Service ist kostenlos, Spenden per Überweisung sind gerne gesehen. Eine trockene Hütte, ein Kamin in der Ecke, vorbereitetes Feuerholz daneben. Meine Füße und Hände sind nass, die Nässe ist auch ein Stück meine lange Unterhose und die Ärmel meines Longsleeves und meines Microfleeces hochgezogen. Es ist erst 14:00, ich könnte noch bis Røvollen weiter laufen. Ratter, ratter, ratter. Weiter laufen oder bleiben? Bleiben oder weiter laufen? Mir ist kalt. Ich bleibe! Feuer anmachen, Sachen zum Trocknen aufhängen, einkuscheln. Das Thermometer zeigt irgendwann 18 Grad. Die beste Entscheidung ever! Es regnet den ganzen Tag durch, teilweise schüttet es. Meinen Fensterplatz gebe ich heute nicht mehr auf. Am Abend will sich der Tag noch mit einem alles rot färbenden Sonnenuntergang einschmeicheln. Lieber Simon, mir wäre lieber gewesen, das Wetter hätte seine Chance eher genutzt! Die Holzpritsche ist etwas hart. Aber hey: 18 Grad!
22.9. Tourtag 5
Ab 6:00 kann ich nicht mehr schlafen. Die Temperatur ist auf 13 Grad gesunken. Ich brauche neues Anzündholz und gehe rüber in die Nachbarhütte, wo die als Feuerholz vorgesehenen Stämme lagern und Axt und Säge bereit liegen. Ich erinnere mich daran, dass drüben in der Hütte in einer Infomappe darum gebeten wird, Holz zu sparen. Na gut, dann eben nicht. Und so fange ich um 6:30 an zu Sägen und Holz zu Spalten, um das für die nächsten Gäste aufzufüllen, was ich verbraucht habe. Eins steht fest: Hätte ich mich neben den Ofen gesetzt, wäre mir nicht so schnell warm geworden!
Bevor ich losgehe, schreibe ich noch ins Hüttenbuch. Kerstin und Frank (Namen von der Redaktion geändert; die Red. bin ich ) aus einer deutschen Großstadt (na gut, es war Hamburg; die Red. ), waren auch da. Sie schreiben eine ganze Seite voll und malen am Rand Pilze, Blätter, Zweige und auch ein Rentier. Sie schreiben über ihre gelungene Tour und wie schön sie diesen Ort doch finden. Für ihr PS brauchen sie noch einen Teil der nächsten Seite. Sie hätten die Hütte sauberer hinterlassen, als vorgefunden (sie sei aber schon sehr sauber gewesen), hätten mehr Feuerholz vorbereitet, als bereit lag und hätte noch den Müll von anderen Leuten mitgenommen. Und sie hätten auch versucht, den Besen zu reparieren (was aber nicht geklappt hat; die Red. ). Und sie würden sich freuen, wenn das jeder so machen würde, damit dieser Ort so wunderbar bleibt, wie er ist. Ausrufezeichen! Herzchen!
Um 9:00 gehe ich trocken, ausgeruht und frohen Mutes los. Vom gestrigen Regentag zeugen zahlreiche Pfützen und ich achte peinlichst darauf, dass meine Schuhe und Füße vorerst trocken bleiben. Um Sümpfe zu umgehen, nehme ich gerne kleinere Umwege in Kauf.
Irgendwann stehe ich vor einem Sumpf, den ich nur durch einen großen, zeitaufwändigen Umweg umgehen könnte. Na gut, denke ich mir, dann geht es jetzt eben nicht anders. Aber Schadenminimierung muss schon sein: Lange Unterhose und Regenhose ziehe ich weit hoch. Wie wäre es mit Socken ausziehen, damit nur die Schuhe nass werden? Dann die Erleuchtung: Ich geh einfach barfuß durch! Gesagt, getan und auf der anderen Seite trockenen Fußes weiter.
Kurz danach eine Furt mit blauem Seil zum dran entlang hangeln. Also wieder Schuhe und Socken aus. Ups, das ist kalt! Auf der anderen Seite gerade wieder in die trockenen Socken und Schuhe geschlüpft, treffe ich nach kurzer Wegstrecke auf zwei weitere Furten direkt hintereinander. Also erneut Socken und Schuhe aus, am blauen Seil entlang gehangelt und drüben die eiskalten Füße schnell wieder eingekleidet. Ein paar Meter weiter auf einem Hügel hat sich ein Schwede mit seinem Mid platziert. An dieser Stelle treffen drei Wege aufeinander und er hilft mir dabei, meinen zu finden. Sein Englisch sei nicht so gut, meint er, was ich so nicht bestätigen kann. Nicht nur deshalb wundert mich seine Bemerkung, dachte ich doch, Englisch sei in Skandinavien quasi zweite Muttersprache.
Der Weg führt erneut durch offenes Fjäll. Ich verlasse den Pfad und steige auf eine der höchsten Erhebungen der Umgebung. Wie erhofft, habe ich oben mit dem Handy Empfang und kann kurz zuhause anrufen. Querfeldein geht es weiter, um etwas später wieder auf meinen markierten Pfad zu stoßen. Dabei stoße ich auf einen See in Herzform.